75 Jahre Auschwitz-Befreiung: Wie leben Juden in Schleswig-Holstein?

Die Recherche für die Sonderausstellung am Jüdischen Museum in Rendsburg führte den Historiker bis nach Heidelberg ins Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland. In dieser vom Zentralrat der Juden in der Landfriedstraße aufgebauten Sammlung wälzte Jonas Kuhn im Herbst 2019 eine Woche lang täglich acht Stunden meterweise Akten auf der Suche nach Spuren von Juden, die in Schleswig-Holstein lebten. Recherche für Sonderausstellung in Heidelberg: Er betrat Neuland. Mit der Digitalkamera fotografierte Jonas Kuhn Dokument für Dokument - mehr als 3000 Bilder entstanden. In den Heidelberger Unterlagen "steht alles, was die jüdische Gemeinschaft in Schleswig-Holstein gemacht hat - und das ist kaum erforscht". Protokolle von Vorstandssitzungen, Berichte von Konflikten, Lebensläufe bisher unbekannter Juden bannte Kuhn auf die Speicherkarte seiner Kamera. Zurück in Rendsburg sichtet er die Bilder ein halbes Jahr lang, zwei Stunden täglich, wählte Texte und Fotos für Tafeln aus, die er in der Ausstellung zeigen wird. Fünf Türen im Jüdischen Museum: Kuhn entdeckte die Geschichte eines Flensburger Juden, der nach dem Ende der NS-Diktatur nach Südamerika auswanderte, weil er sich in Deutschland als Mensch zweiter Klasse fühlte. Der Museumsleiter fand heraus, dass dieser Heinrich Waack noch lebt, nahm Kontakt auf. Der heute in Sao Paulo lebende ehemalige Schleswig-Holsteiner half dem Jüdischen Museum mit Fotos. Noch laufen die Vorbereitungen für die Sonderausstellung: In einem Nebengebäude des J üdischen Museums in der Prinzessinstraße in Rendsburg riecht es nach Farbe. Töpfe mit grünem und grauen Lack stehen auf dem Boden neben einem aus Holzlatten frisch gezimmerten Rahmen. Haustechniker Kirk Bock tunkt den Pinsel ein und streicht konzentriert. An der Wand lehnen lackierte Türblätter. Durch fünf Türen geht es ab Ende Februar in die Ausstellung. Die Türen tragen dann Aufschriften wie "Gesund werden", "Anerkennung" und "Freiheit". Sie symbolisieren die Hoffnung schleswig-holsteinischer Juden, mit einem unausgesprochenen Fragezeichen. Denn der Titel der Sonderausstellung lautet "Gerettet, aber nicht befreit". Jüdisches Museum zitiert Lübecker Juden: Es ist ein Zitat von Norbert Wollheim, einem Berliner Juden, der in Auschwitz Zwangsarbeit für IG Farben leisten musste, überlebte und in Lübeck Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde wurde, erklärt Jonas Kuhn. Gerettet und doch nicht frei? Die meisten Juden wollten nicht in Deutschland bleiben. Viele mussten endlos auf ihre Ausreise nach Palästina warten. Denn die Briten stellten monatlich nur 1000 Visa aus. Der Titel "stellt die Situation der Überlebenden in Schleswig-Holstein dar", sagt Kuhn. "Man glaubt, die Nazis sind weg, Deutschland ist befreit, den Überlebenden müsste es jetzt gut gehen. Aber das Gegenteil ist der Fall, weil sich niemand für die Überlebenden interessiert, weder die deutsche Bevölkerung noch die britische Besatzung." Das Jüdische Museum Rendsburg zeigt Filme: Wie sich jüdische Menschen nach 1945 in Deutschland gefühlt haben, macht die Ausstellung an interaktiven Stationen deutlich. Dazu zeigt das Jüdische Museum Filme, etwa ein Interview mit dem Namensgeber Norbert Wollheim, das in den USA entstand. Oder den Auftritt der in den 1920er Jahren berühmt gewordenen Berliner Tänzerin Valeska Gert in der WDR-Talkshow "Je später der Abend". 1975 war das, drei Jahre vor ihrem Tod in Kampen auf Sylt. "Geschichte, die keiner kennt": Hinter Jonas Kuhn, dem Leiter des Jüdischen Museums, liegt eine monatelange Puzzlearbeit für die Sonderausstellung vom 28. Februar bis zum 29. November 2020. "Das macht Spaß, das ist Geschichte, die keiner kennt", sagt er und wirkt erleichtert. Denn wichtige Etappen sind geschafft: "Der Katalog und die Ausstellungstafeln sind im Druck." Die Sonderausstellung gehört zum neuen Konzept des Jüdischen Museums, das sich nun auch der Geschichte nach 1945 widmet und aktuelle Themen aufgreift. Weitere Nachrichten aus der Region lesen Sie hier.

Nach Auschwitz-Befreiung - Jüdisches Museum leistet Pionierarbeit