Tod in JVA Neumünster: Hätte mutmaßlicher Suizid verhindert werden können?

Nach dem Tod eines 56-jährigen Häftlings in der JVA Neumünster hat die Staatsanwaltschaft ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Damit soll der mutmaßliche Suizid bestätigt, und die Frage beantwortet werden, ob er hätte verhindert werden können. Der Mann saß in Untersuchungshaft, weil gegen ihn dringender Tatverdacht bestand. Die Polizei vermutet, dass er seine Lebensgefährtin umgebracht und danach am 1. März das gemeinsame Haus in Nortorf in Brand gesetzt hat. Nach der Explosion des Hauses war er kaum ansprechbar in seinem Auto an einem Nortorfer Feldweg gefunden worden. Vor der Aufnahme in der JVA war er von der Staatsanwaltschaft als suizidgefährdet eingestuft worden. Lesen Sie auch: Tatverdächtiger wurde tot in seiner Zelle gefunden In Neumünster hingegen "gab es nach den bisherigen Erkenntnissen nach der Aufnahme des Verstorbenen im Vollzug keine Hinweise auf eine Suizidgefährdung", teilt Jens Helbing, stellvertretender Leiter der JVA, auf Nachfrage mit. Daher bestehe aktuell kein Grund, an den Abläufen der Aufnahme etwas zu verändern, ergänzt Helbing. Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Michael Bimler hat die JVA Neumünster der Polizei alle für das Todesermittlungsverfahren notwendigen Unterlagen übergeben. Zu klären ist nun, wie der 56-Jährige nach seiner Aufnahme behandelt worden ist, und wie man vor Ort mit der Information seiner Suizidgefährdung umging. "Dann werden noch die zuständigen Mitarbeiter der JVA vernommen. Gesucht wird nach Anhaltspunkten für ein Fremdverschulden. Bislang gibt es diese nicht", sagt Bimler. Mit einem Ergebnis der Ermittlungen ist laut Oberstaatsanwalt in etwa zwei Wochen zu rechnen. JVA-Vizeleiter Helbing spricht von "einem ganz normalen Ablauf. Es ist richtig und wichtig, dass in solchen Situationen die zum Tode führenden Ursachen ausermittelt werden." Lesen Sie auch: Explosion in Nortorf: Gefundene Leiche per DNA-Test identifiziert Ablauf in der JVA: Laut Landesstrafvollzugsgesetz gibt es bei der Erstaufnahme eines Gefangenen ein sogenanntes "Sofortgespräch", bei dem abgeklärt wird, ob direkt bestimmte Maßnahmen getroffen werden müssen. Spätestens nach drei Tagen muss eine ärztliche Untersuchung sowie ein Zugangsgespräch mit der Abteilungsleitung erfolgen. Dabei wird nach Angaben des Justizministeriums auch die "Gefahr für suizidales Verhalten" überprüft. Gibt es Hinweise auf ein solches, können Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden. Sie müssen laut Gesetz aber "verhältnismäßig" sein. Videobeobachtung, Einzelhaft oder die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände können angeordnet werden. Einzelhaft von mehr als 24 Stunden ist nach dem Gesetz aber nur zulässig, wenn sie zur Abwehr der Gefahr „unerlässlich“ ist. Unabhängig von der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen gibt es für Häftlinge laut Justizministerium Gesprächsangebote mit den JVA-Mitarbeitern und den Gefängnisseelsorgern. Häftlinge begehen häufiger Suizid: Suizidprävention wird laut der Gewerkschaft der Polizei (GdP) bei der Ausbildung zum Vollzugsdienst und in regelmäßigen Fortbildungen thematisiert. Eine solche Tat eines Häftlings zu verhindern, sei für JVA-Mitarbeiter aber sehr schwierig, sagt Thorsten Schwarzstock, Vorsitzender der GdP-Regionalgruppe Justizvollzug. Die Suizidrate unter Häftlingen ist durchschnittlich deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. Das zeigen verschiedene Erhebungen, zum Beispiel eine Bundesstatistik des Kriminologischen Dienstes Niedersachsen mit Zahlen aus den Jahren 2000 bis 2016. Nach Angaben des schleswig-holsteinischen Justizministeriums hat es in den vergangenen drei Jahren insgesamt vier Suizide in Justizvollzugsanstalten des Landes gegeben. Neben der Sensibilisierung in der Ausbildung und halbjährlich angebotenen Fortbildungen habe jede JVA Ansprechpersonen für Suizidprävention benannt, die das Thema präsent halten, sagt Oliver Breuer, Sprecher des Justizministeriums. Lesen Sie auch: Corona bringt den Vollzug an seine Grenzen Sie arbeiteten auch in einer landesinternen Arbeitsgruppe zusammen. Zudem beteilige sich Schleswig-Holstein an der Bundesarbeitsgemeinschaft Suizidprävention im Justizvollzug, ergänzt Breuer. Das Ziel: Über den Austausch von Interventionsstrategien und wissenschaftliche Erkenntnisse sollen Konzepte entwickelt werden, damit Fälle wie in Neumünster verhindert werden können. Die Ergebnisse fließen regelmäßig in die Abläufe der Gefängnisse ein, "insbesondere in die Dokumentationsverpflichtungen bei Aufnahme und Diagnostik", sagt der Sprecher. "Kaum eine Chance" bei Suizidabsichten von Häftlingen: Das Ministerium sei bemüht, die JVA-Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, mögliche Anzeichen für einen Suizid so früh wie möglich zu erkennen, so GdP-Vertreter Schwarzstock. "Ein Suizid im Justizvollzug ist immer ein katastrophales Ereignis, und wir wollen alles tun, um dieses soweit es uns möglich ist, zu vermeiden." Man sei sich aber auch im Klaren darüber, dass bei Gefangenen, die wirklich diesen Plan verfolgten, "wir letztendlich kaum eine Chance haben", sagt er. Für die Mitarbeiter gibt es nach einem solchen Fall oder anderen Ereignissen wie einem gewaltsamen Übergriff eines Gefangenen oder Zellenbränden die Möglichkeit, sich an ein geschultes Kriseninterventionsteam (KIT) aus dem Kollegenkreis zu wenden, erläutert Schwarzstock. "Diese Hilfe ist allen Bediensteten bekannt und wird betroffenen Bediensteten nach einem belastenden Ereignis noch einmal konkret angeboten", sagt auch der stellvertretende JVA-Leiter Helbing.