Geldstrafe für Rentner im Prozess um totgefahrenes Mädchen in Kisdorf

"Sie haben mir meine Schwester genommen. Sie haben sie getötet." Zwei Sätze aus dem Mund der 14-jährigen Schwester der Verunglückten, die wohl jedem Beobachter des Gerichtsprozesses durch Mark und Bein gingen. Angeklagt war ein 86-Jähriger, der bisher unbescholten und straffrei durchs Leben gekommen war. Er gab gleich zu Beginn der Verhandlung zu, das Mädchen übersehen zu haben. Als Nebenkläger verfolgten die Eltern des Mädchens sowie deren ältere Schwester den Prozess im Amtsgericht Bad Segeberg. Zu dem tragischen Unfall war es am 21. Oktober vorigen Jahres um 13.07 Uhr gekommen. Der Mann war mit seinem schweren Geländewagen auf der Henstedter Straße unterwegs und wollte nach rechts in den Mühlenredder einbiegen. "Da bin ich schon tausendmal gefahren", erklärte der Angeklagte. Er habe nach rechts geschaut, ob von dort ein Radfahrer oder Fußgänger komme und sei dann aufgrund des Stop-and-Go-Verkehrs mit Tempo 20 in den Mühlenredder eingebogen. Dabei übersah er die beiden Schwestern, die von vorne kamen und von der Schule nach Hause in Henstedt-Ulzburg wollten. Mädchen waren auf dem Weg von der Schule nach Hause: Die elfjährige Schülerin fuhr laut Angaben ihrer Schwester etwa fünf Meter vorweg. "Ich habe gerade nicht hingeguckt und habe dann nur einen Knall gehört", erinnerte die Schwester sich. Sie habe wieder in Richtung ihrer jüngeren Schwester gesehen, aber "da war sie nicht mehr". Sie habe daraufhin sofort ihr eigenes Fahrrad zur Seite geschmissen und sei zum Unglücksort gelaufen. Dort habe sie ihre leblose Schwester unter dem Auto entdeckt. "Ich bin dann zur Fahrertür und habe sie aufgemacht", schilderte das Mädchen. Der Mann am Steuer habe nur still dagesessen. Sie habe ihn aufgefordert, den Notruf zu wählen und ihm den Straßennamen genannt. "Ich musste alles alleine machen", berichtete das Mädchen mit klarer Stimme in dem Gerichtssaal, in dem nur wenige Zuschauer zugelassen waren. Auch ihre Mutter habe sie angerufen und versucht, den Vater auf der Arbeit zu erreichen. Mutter war noch vor dem Rettungswagen am Unfallort: Zufällig sei eine Lehrerin der Mädchen vorbeigekommen, die sofort zu dem Unfallort gerannt sei. Die ältere Schwester und ihre Lehrerin hätten erste Hilfe geleistet. Die Mutter der beiden Mädchen war nur wenige Minuten nach dem schlimmen Anruf ihrer Ältesten zum Unfallort gekommen. Und dass noch vor Rettungswagen, Notarzt und Polizei. Die Rettungssanitäter hätten sie schließlich von ihrer Schwester weggezogen und die Reanimierung fortgesetzt. Ohne Erfolg. Das Mädchen starb noch vor Ort. "Das letzte Mal hat die Mutter ihre Tochter im Rettungswagen gesehen", sagte Anwalt Horst Schumacher, der die Familie vor Gericht vertrat. 400 Menschen trauerten bei der Beerdigung: In einem sehr ergreifenden Abschlussplädoyer schilderte Schumacher die Situation der trauernden Familie. Die Mutter, die auf die Kinder mit dem Mittagessen wartet und den katastrophalen Anruf erhält, der traumatisierte Vater, der auch jetzt nur noch eingeschränkt arbeiten könne, die älteste Tochter, die sich beim Unfall vorbildlich verhalten habe und den Vorfall nun in einer Therapie verarbeite, die Bestattung in Henstedt-Ulzburg, zu der 400 Menschen gekommen waren - und das alles nur "weil ein Autofahrer massiv versagt hat". Sachverständiger erläuterte Gutachten: Ein Sachverständiger, der den Unfallort begutachtet und eine umfangreiche Ausarbeitung vorgelegt hatte, kam zu dem Schluss, dass der Unfall hätte vermieden werden können. Der Fahrer habe dafür einige Sekunden Zeit gehabt. "Sie hätten, wenn Sie nach vorne gesehen hätten, drei Sekunden Zeit gehabt zum Reagieren", fasste Richter Aykut Tuncel zusammen. Mit der Schuld müsse der Angeklagte leben. "Wie bei Ihnen ist bei mir jeder Frohsinn aus meinem Leben verschwunden", sagte der Angeklagte an die Familie gerichtet. Es vergehe kein Tag, an dem er nicht an den Unfall denke. An die Situation nach dem Zusammenstoß hat der Senior andere Erinnerungen als die Schwester des Opfers. Richter Tuncel unterstellte keine böse Absicht oder bewusstes Lügen, sondern vermutete, dass Menschen im Nachhinein schon aus Selbstschutz sich in ein besseres Licht stellen würden. Akten und Zeugenaussagen würden ein anderes Bild zeichnen. Angeklagter entschuldigte sich bei Familie: Der Angeklagte, der sichtbar mitgenommen war, stand für seine letzten Worte vor der Urteilsverkündung auf. "Es tut mir aus tiefster Seele leid. Ich teile die tiefe Trauer der Familie", sagte der Senior. Er könne es nicht mehr rückgängig machen. Das werde ihn die letzte Zeit seines Lebens verfolgen. Das Schöffengericht schloss sich der Forderung von Staatsanwältin Ina Nentwig an, die eine Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen à 130 Euro für angemessen hielt. Ihrer Forderung, dass dem Rentner der Führerschein abgenommen werden sollte, kam das Gericht nicht nach. Dafür sei die Fahreignungsbehörde zuständig. Lob und Hochachtung für die ältere Schwester: Richter Aykut Tuncel gab dem Angeklagten dennoch einige persönliche Worte mit auf den Weg. "Ich würde mir wünschen, wenn Sie ihre Fahrerlaubnis abgeben. Was soll denn noch passieren?", redete er dem Angeklagten ins Gewissen. Große Hochachtung sprach der Richter der älteren Schwester des Unfallopfers aus. "Du hast versucht, Deine Schwester zu retten. Du bist sehr tapfer." Den Eltern sagte Tuncel, dass keine Strafe der Welt ihnen ihre Tochter zurückbringe. "Ich wünsche Ihnen viel Kraft."