Irene Kostenko aus Kaltenkirchen war die erste deutsche Box-Richterin

Die Liebe zum Boxsport wurde ihr in die Wiege gelegt und begleitet sie durch ihr ganzes Leben. Nach rund 50 Amateurkämpfen hat sie die Handschuhe aber längst an den berühmten Nagel gehängt und stattdessen eine beachtenswerte Karriere als Punktrichterin im Profibereich gemacht. Diese Aufgabe führt die Kaltenkirchenerin Irene Schweizer-Tschibisow rund um den Erdball. Irene Kostenko: Nach Pässen Russin und Deutsche: In der Szene ist sie eher unter ihrem Geburtsnamen Irene Kostenko bekannt, so steht es auch in ihren Box-Dokumenten, "und daran halte ich fest". Sie war die erste Punktrichterin im rund 40-köpfigen Team des Bundes Deutscher Berufsboxer (BDB). "Heute habe ich noch zwei Kolleginnen", sagt die 49-Jährige, die in Krasnodar in Südrussland geboren wurde und neben dem Pass ihrer Heimat auch voller Stolz ihren deutschen zeigt, "denn hier habe ich meine neue Heimat gefunden". Wer die zierliche, zurückhaltende Frau mit dem sympathischen Lächeln und der recht leisen Stimme das erste Mal trifft, glaubt kaum, dass sie im harten Männersport Boxen so eine große Rolle spielt. Dass sie es ist, die über Sieg und Niederlage sowie über Karrieren ein wichtiges Wort mitzusprechen hat. Sie liebe das Boxen, weil es Selbstvertrauen gebe, Erfolgserlebnisse verschaffe und für Veränderungen am eigenen Körper sorge, sagt sie. Durch den Vater kam Kostenko zum Boxen: Die Affinität zu diesem Sport ist kein Wunder, denn ihr Vater war auch Boxer, Trainer, Ringrichter und fungiert nun als "Präsident der Föderation des professionellen Boxens des südlichen föderalen Bezirks Russlands", der unter anderem das Gebiet um das Schwarze Meer und Teile des Kaukasus umfasst. Als Vertreterin des staatlichen russischen Boxverbandes kam Irene Kostenko vor vielen Jahren nach Deutschland. Zu der Zeit standen hier zahlreiche russische Kämpfer unter Vertrag, die in Deutschland ihre Manager hatten und hier viele Kämpfe austrugen. "Da hatte das Boxen noch einen höheren Stellenwert, auch im Fernsehen. Meine Aufgabe war es, die Verträge meiner Landsleute zu überprüfen und dafür zu sorgen, dass sie nicht über den Tisch gezogen werden", sagt Irene Kostenko. Thomas Pütz gewann die Richterin für seinen Verband BDB: Zu der Zeit war sie bereits Punktrichterin, hatte ihre Ausbildung nach der aktiven Karriere in der Heimat durchlaufen. Das befähigte sie sogar, regelmäßig bei Weltmeisterschaften des WBC-Verbandes am Ring zu sitzen. Nur bei vom BDB ausgerichtete Fights in Deutschland durfte sie nicht zu den Entscheidern gehören. Bei einem Box-Event in China traf sie dann aber Thomas Pütz, den BDB-Präsidenten aus Kaltenkirchen, den sie kannte und der sie dort zur Mitarbeit in seinem Verband überredete. "Den Schritt habe ich nie bereut", sagt die 49-Jährige. 30 bis 40 Mal war sie vor der Corona-Pandemie im Jahr im Einsatz, hauptsächlich in Deutschland. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihr "tolle Kämpfe" von Jürgen Brähmer oder des ehemaligen Weltmeisters usbekischer Herkunft, Ruslan Chagayev. Bei den Frauen haben sie so bekannten Größen wie Ina Menzer oder Kikki Adler beeindruckt. Auch mit Laila Ali, der Tochter von Box-Legende Muhammad Ali, sei sie zusammengetroffen. Als Frau am Ring kein Mangel an Akzeptanz: Mangelnde Akzeptanz, weil sie eine Frau sei, habe sie in den Arenen nie gespürt, egal ob bei Kämpfen des männlichen oder weiblichen Geschlechts. "Natürlich gibt es Unzufriedenheit mit einzelnen Punktrichtern", räumt die 49-Jährige ein, "zum Glück bei mir aber nicht oft". Immer wieder steht das Boxen im Ruf, dass Kämpfe verschoben werden, bewusst ein falsches Urteil gefällt wird. "Ich kenne so was ganz bestimmt nicht", sagt Irene Kostenko energisch. Offen gibt sie aber zu, dass es ihr nicht gleichgültig sei, wenn ein Kampf sehr einseitig verlaufe: "Ich nehme es mir schon zu Herzen, wenn jemand im Ring so fürchterlich Haue bezieht, aber wir Punktrichter können da nicht eingreifen." Punktrichter-Job ist kein Hauptberuf: Ab 200 Euro aufwärts plus Spesen gibt es pro Einsatz. Nicht genug, um davon den Lebensunterhalt zu bestreiten. Deshalb arbeitet Irene Kostenko im russischen Generalkonsulat in Hamburg. Dort ist sie für die Erteilung von Visa zuständig. Spezialisiert ist sie dabei auf Sportler aller Kategorien, deren Anträge sie dann bearbeitet. Ehemann beim Tanzen kennengelernt: Ihren Mann Wjatscheslaw Tschibisow hat die 49-Jährige beim Tanzen in Hamburg kennengelernt und erzählt dazu eine schöne Geschichte. Er habe sie gefragt, ob er sie nicht mal zum Essen oder ins Kino einladen könne. "Dazu nicht, aber zum Boxen", habe sie geantwortet. "Und das hat er dann auch tatsächlich gemacht." Er, der eigentlich Karate betrieb, wurde durch seine Partnerin auch mit dem Box-Virus infiziert. Vor rund acht Jahren ging er als Promoter in Hamburg an den Start, veranstaltete auch mehrere Events. Doch dieses Geschäftsmodell hat er nun ad acta gelegt. "Das rechnete sich nicht mehr." So verdient er seine Brötchen jetzt in einem Norderstedter Produktion-Unternehmen. Seine Frau begleitet er gerne zu ihren Einsätzen. Die wurden durch die Corona-Pandemie auf ein Minimum reduziert. "Seit März war ich bis heute nur drei Mal als Punktrichterin tätig." Irene Kostenko hofft, dass das im kommenden Jahr wieder mehr werden. Und sie hat noch große Wünsche, die aber nichts mit dem Boxsport zu tun haben. Einer davon: Sie will ihren Fahrlehrer Martin Brose nicht enttäuschen und in Kürze ihre Führerscheinprüfung bestehen. Weitere Nachrichten aus dem Kreis Segeberg lesen Sie hier.