Heinrich Bedford-Strohm, 57, ist Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland: In seiner ersten These hat Martin Luther 1517 festgehalten: „Unser Herr und Meister hat gesagt: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Deswegen soll das ganze Leben der Gläubigen Buße sein.“ Luther gibt da eine starke Grundorientierung, nicht nur für einen Einzelnen, sondern auch für unser ganzes Land. Wie wohltuend wäre es für unsere Gesellschaft, wenn die so lebensfreundliche Dynamik von Selbstdistanz, Selbsterkenntnis und Neuorientierung sich Raum schaffen würde, die den Kern des Bußgedankens ausmacht? Die Kultur der Beschuldigung, Abwertung und Anprangerung der anderen, die sich im Internet, insbesondere in den sozialen Medien, breitgemacht hat, könnte einer Kultur der Nachdenklichkeit und kritischen Selbstprüfung weichen. Von der Bereitschaft, darüber nachzudenken, wo wir uns selbst verändern können, würden wir auch 500 Jahre nach dem legendären Thesenanschlag alle nur profitieren.