Leitartikel von Christian Longardt zur Politik in Corona-Zeiten

Die Bundeskanzlerin empfiehlt live im Fernsehen, man solle Stoffmasken regelmäßig waschen oder bügeln, alternativ in den Backofen oder die Mikrowelle legen. Woher die Leute den Mund-Nase-Schutz nehmen sollen, der ab nächster Woche in Bus, Bahn und Geschäften dringend empfohlen wird, sagt Angela Merkel nicht. Weil sie wie jedermann weiß, dass in Deutschland akuter Masken-Mangel herrscht. Hoffentlich geht das gut aus: Merkels praktischer Bügeltipp macht die Kanzlerin ja sympathisch, in solchen Momenten ist sie ganz nah bei den Bürgern. Zugleich aber zeigt der Vorfall, was Deutschland trotz aller Entschlossenheit und Umtriebigkeit der Krisenkabinette in Bund und Land eben auch ist: ein riesiges Freiluft-Experiment. Man kann nur inständig hoffen, dass es gut ausgeht. Politik von Getriebenen: In der Krise schlägt immer die Stunde der Exekutive, diese historische Wahrheit bestätigt sich auch in dieser größten aller Nachkriegskrisen. Fürs Parlament fehlt meist die Zeit, manchmal selbst für Nachfragen und abschließende Klärungen – gefragt sind Macher und Entscheider. Die Regierenden, die mit ihren Beschlüssen die Dinge in die richtigen Bahnen lenken sollen, wirken dieser Tage aber häufig selbst wie Getriebene, die mit dem eigenen Tempo kaum Schritt halten können. Keine Zeit für Nachfragen: Bei vielen Pressekonferenzen nach extralanger Telefonkonferenz ist es längst dunkel geworden, und in der Eile hat oft nicht mal der Regierungssprecher die Ergebnisse protokollieren können. Die Journalisten versuchen angestrengt, die Dinge bis Redaktionsschluss zu ordnen und zu verstehen. Nachfragen? Nicht mehr möglich. Vielleicht am nächsten Tag. So ist das in diesen verrückten, fast surrealen Corona-Zeiten. Kennen Sie schon die Post aus dem Newsroom? Den kostenfreien Newsletter der Kieler Nachrichten versenden wir Mo-Fr ab 17 Uhr. Hier können Sie sich für unser Mailing anmelden. Sie interessieren sich für Holstein Kiel? Dann melden Sie sich hier für den Newsletter " Holstein Kiel - Die Woche " kostenfrei an. Versand: jeden Freitag, 11.30 Uhr. Warum keine früheren Regelungen? Gestern Abend wartete wieder halb Schleswig-Holstein auf eine Erklärung der Landesregierung. Einzelhändler wollten wissen, ob sie nun die Ladenöffnung vorbereiten können oder nicht. Tatsächlich gab es für manche die gute Nachricht, dass die harte 800-Quadratmeter-Regel etwas aufgeweicht wird, wenn größere Läden die Verkaufsfläche einfach verkleinern. Man kann das als pragmatisch loben – die Regierung reagiert schnell und flexibel. Man kann aber auch fragen, warum das Bund und Land nicht vorher geregelt haben. Oder die 1000-Zuschauer-Grenze, die Daniel Günther gestern für Großveranstaltungen gezogen hat. Ohne sagen zu können, wie genau das umgesetzt werden soll. Zurück bleibt eine ratlose Kulturszene, die auf die nächste Klarstellung hofft. Großer Respekt - aber nicht für alle: Die Krisenmanager in der Politik erwarten zu Recht Respekt für die schwierige Aufgabe, um die sie niemand beneidet. Viele, die von den schwerwiegenden Entscheidungen betroffen sind, aber haben inzwischen den Eindruck, dass es mit dem Respekt für sie nicht weit her ist. Die um die Existenz kämpfenden Händler und Gastronomen, die Kurzarbeiter, Kita-Eltern, Schüler – ihnen wird derzeit viel zugemutet. Manchmal auch zu viel. Lesen Sie auch: Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein So viele bestätigte Corona-Fälle gibt es in Schleswig-Holstein Diese Lockerungen sind in Schleswig-Holstein vorgesehen Handel, Schule, Gastronomie: So geht es im Land weiter Daniel Günther: Interne Kritik am Regierungschef wächst Kann die Kieler Woche 2020 im September stattfinden? Diese Festivals und Konzerte fallen 2020 aus Wacken Open Air 2020 fällt aus: Was wird aus den Tickets? Hilfen für Kulturschaffende haben entscheidenden Haken KN-Bühne: 6340 Euro für Künstler in Nöten Wirtschaftsminister Buchholz will Sonntagsöffnung im Einzelhandel Schrittweise Öffnung: So wollen Schulen für die Gesundheit sorgen Schleswig-Holstein erhöht Darlehensfonds für Studenten Forschungszentrum Borstel testet neue Wirkstoffe Freude und Frust: So reagieren Händler auf die Lockerungen THW Kiel hakt die Handball-Saison ab Eltern drängen auf Kita-Betreuung Kiel: KVG setzt ab Montag mehr Busse ein Diese Strafen sieht der Bußgeldkatalog in SH vor Besser geschützt: 15 Tipps für Senioren in der Corona-Krise Coronavirus: So können Sie Desinfektionsmittel selbst herstellen Coronavirus: Was passiert bei einer Quarantäne Weitere Informationen zum Coronavirus erhalten Sie auf unserer Themenseite.

Leitartikel - C. Longardt: Ein riesiges Experiment