U. Metschies kommentiert die Schließung von Karstadt

Rudolph Karstadt hatte eine geniale Idee, doch längst ist Neues gefragt Dass Norderstedt wackelt, hatte man erwartet. Auch Neumünster mussten wir leider in die Schublade „Sorgenkind“ einsortieren. Aber Lübeck? In der Hansestadt hatte Rudolph Karstadt 1884 nach Wismar sein zweites Warenhaus aufgebaut. Und in den Lübecker Standort hat der Konzern vor Kurzem erst kräftig investiert – Karstadt Sport und Galeria Kaufhof 2019 unter einem Dach in der Königstraße vereint. Doch weder stolze Geschichte noch unternehmerische Entscheidungen der Vergangenheit haben in diesen Zeiten einen Stellenwert. Galeria Karstadt Kaufhof kämpft ums Überleben. Wieder einmal. Seit gut 20 Jahren balanciert der einst stolze Konzern immer wieder dicht am Abgrund. Dass man nun auch einen Standort wie Lübeck opfert, zeigt schmerzhaft: Noch nie war der Absturz so nah. Wer braucht noch Karstadt? Natürlich: Corona hat die Probleme brutal verschärft. Wochenlange Schließungen sind für kein Geschäft gut. Für ein Unternehmen, das sich völlig neu erfinden muss, sind sie verhängnisvoll. Doch die Pandemie ist nicht Ursache der Krise, sondern ihr Beschleuniger. Der Grund für den Niedergang von Karstadt liegt tiefer. Das Geschäftsmodell Warenhaus, mit dem Rudolph Karstadt einst das Einkaufen revolutionierte, hat sich schlicht überlebt. Strumpfhosen, Parfum oder Uhren unter einem Dach erwerben zu können, das hat einmal Kunden in Massen angelockt. Heute jedoch ist das nichts Besonderes mehr. Shoppingcenter und Online-Handel bedienen den Wunsch der Käufer nach Bequemlichkeit und breiter Auswahl in Perfektion. Wer Einkaufserlebnis will, geht in die Mall, Schnäppchenjäger vergnügen sich im Internet. Wer braucht da noch Karstadt? Das ist die alles entscheidende Frage, auf die wechselnde Eigentümer und Manager bis heute eine überzeugende Antwort schuldig geblieben sind. Dass der Karstadt-Standort Kiel den Kahlschlag überlebt, liegt auch daran, dass er so eng mit dem Sophienhof verwoben ist. Hier lockt das Shopping-Erlebnis, die Dichte an Fachgeschäften, die Vielfalt an kulinarischen Angeboten. Viele Kunden schauen bei Karstadt rein, weil sie sowieso schon in der Nähe sind. Angst vor XXL-Leerstand: Nun muss schnell gehandelt werden, und zwar im Schulterschluss von Politik, Citymanagement und Vermietern, um das zu verhindern, was Gift für jede Innenstadt ist: langen Leerstand auf einer XXL-Fläche in bester Lage. Konkret gilt es zu entscheiden, wo etwa Shop-in-Shop-Lösungen mit Markenbekleidung funktionieren. Wo sich Einzelhandel – vielleicht nur noch mit Lebensmitteln – in Erdgeschossen rentiert und wo Hotels, Büros, Fitnessstudios und Gastronomie möglich sind. Dieses strategische Handeln haben die Verantwortlichen bei Karstadt viel zu lange vermissen lassen. Den Preis dafür bezahlen nun Tausende von Mitarbeitern. Immer wieder haben sie Opfer gebracht, ohne dafür eine Perspektive zu bekommen. Lesen Sie auch: Nur noch eine Filiale in Schleswig-Holstein

Leitartikel - U. Metschies: Auslaufmodell Warenhaus