Blick auf einen besonderen Weihnachtsbaum im Jahr100Haus Molfsee

Ob Nordmanntanne, nadelnd, aus Kunststoff, mit oder ohne echten Kerzen oder mit viel Lametta – egal! Aber der Weihnachtsbaum selbst gehört einfach zum Fest dazu. Die Tradition des Weihnachts- oder Lebensbaumes gibt es bereits sehr lange. Ab dem 18. Jahrhundert setzt sie sich langsam in Europa – zunächst in den wohlhabenden Gesellschaftsschichten – immer mehr durch. Im 19. Jahrhundert erobert der festlich geschmückte Baum zum Weihnachtsfest auch das Bürgertum. Im 20. Jahrhundert ist Weihnachten kaum mehr ohne Baum vorstellbar. Und heute leuchtet es nicht nur an grünen Tannenzweigen, sondern es blinkt und glitzert fast aus jedem Fenster und an jeder Hausecke. Ein liebgewonnenes Ritual: So ist alle Jahre wieder der Baumkauf, das Schmücken und das Lichteranzünden ein liebgewonnenes Ritual. Der Duft von Kerzen und Tannengrün, dazu das warme Licht und die wohlige Wärme im Kreise der Lieben. All das fühlt sich an nach Geborgenheit und Glück. Und so stellen wir auch in Zeiten, die nicht so glücklich sind, einen geschmückten Baum auf, um zum Fest der Liebe einen Moment der Ruhe und des Friedens auch in unruhigen Zeiten zu haben. Der Weihnachtsbaum entstand auf einem Kriegsschiff: Ein ganz besonderer Baum befindet sich in der neuen Dauerausstellung im Jahr100Haus des Freilichtmuseums Molfsee. Unter dem Motto „Do it yourself, Seemann!“ wollten die Seeleute selbst auf den schwankenden Planken eines Schiffes nicht auf einen Weihnachtsbaum verzichten. Das 110 cm hohe Bäumchen stammt aus dem Jahr 1939, dem ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs und ist auf einem Kriegsschiff entstanden. Der Baum ist aus Sisaltauen nachgebildet, die in der Mitte um ein Rundholz gewickelt sind und sich mithilfe von Draht wie Tannenbaumzweige aufspannen. Von den Seeleuten liebevoll geschmückt wurde der Baum mit Dingen des täglichen Lebens auf einem Schiff: Schiffsknoten, in Makrameetechnik geknüpften Girlanden, Hanffäden, Mini-Strickleitern, kleinen Hängematten sowie kleinen Holzeimern. Lesen Sie auch: Jahr100Haus hebt den Alltag auf den Sockel Weihnachtsfeier mit ungewisser Zukunft: So schlicht dieser Christbaum auch daherkommen mag, eines ist doch klar: Er steht eindrucksvoll für die immer wiederkehrende Sehnsucht nach Weihnachten und zwar in allen Lebenslagen. Ein Fest, das wie Ostern oder unser Geburtstag den Jahresrhythmus bestimmt und ein Gefühl von Halt und Geborgenheit erzeugt. Alle Jahre wieder, also auch auf dem Schiff und in Kriegszeiten. Seeleute bastelten den Baum 1939 auf dem Kriegsschiff „Isar“, das im Kieler Hafen stationiert war. Seit fast vier Monaten befand sich das Deutsche Reich im Krieg. Das heißt für die Matrosen: das Weihnachtsfest wird an Bord gefeiert, getrennt von den Familien und mit ungewisser Zukunft. Ein Jahr100 in sechs Themenbereichen Die neue volkskundliche Ausstellung in Molfsees neuem Jahr100Haus fokussiert die Alltagskultur Schleswig-Holsteins vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute. Zeitlich knüpft sie damit an die Freilichtausstellung an und will gleichsam den Sprung des Museums ins Hier und Heute vollziehen. Die Dauerausstellung thematisiert dabei große Fragen des Alltags und spürt ihnen in sechs Themenbereichen nach, die wir in den kommenden Wochen bis zur (vorerst coronabedingt aufgeschobenen) Eröffnung auf KN-online noch über einzelne Exponate vorstellen: Rhythmus (1), Mobilität (2), Arbeit und Freizeit (3), Konsum (4), Beziehung und Kommunikation (5) sowie Sicherheit (6). Der beschriebene Weihnachtsbaum ist im Themenbereich „Rhythmus“ aufgestellt. Über Rhythmen und Rituale denken wir im Alltag meist nicht besonders nach. Dennoch bestimmen sie – gewollt oder ungewollt – weite Teile unseres Lebens. Hier im Norden passen wir uns dem Rhythmus von Ebbe und Flut an, haben die kurzen Wintertage akzeptiert und freuen uns umso mehr auf lange Sommerabende an der Küste. Trotzdem hat sich in den letzten 100 Jahren auch manches verändert: Wir haben Strom in unsere Häuser bekommen, tragen Armbanduhren und haben jederzeit unser Smartphone dabei. Neue, künstliche Taktgeber überlagern damit das, was uns die Natur seit jeher vorgibt. Als Kulturwesen schafft der Mensch zudem eigene Rhythmen und Rituale im Tages-, Jahres- und Lebenslauf. Solche Taktgeber sind zum Beispiel christliche Feste, die oft ihre ganz eigenen Rituale besitzen – wie etwa den geschmückten Weihnachtsbaum. Aus dem Bananendampfer wurde ein Kriegsschiff: Ursprünglich hatte die „Isar“ Bananen von Kamerun nach Hamburg gebracht. Als Kühlschiff war sie 1930 in Bremen unter dem Namen „Puma“ vom Stapel gelaufen. Doch das währt nicht lange. Das Deutsche Reich baute in rasantem Tempo eine U-Boot-Flotte aus. Vier Handelsschiffe werden damals zu U-Boot-Begleitschiffen umgebaut, um die Besatzungen zu versorgen. Aus dem Bananendampfer wurde ein Kriegsschiff. Schiff an unbekanntem Ort, Baum in Molfsee: Ob dieser Baum wiederholt an Weihnachten zum Einsatz kam, das wissen wir nicht. Auch nicht, wer ihn später von Bord brachte und über viele Jahrzehnte aufbewahrte. Bekannt ist, dass die „Isar“ den Krieg unzerstört überstanden hat und als Kriegsbeute in die Sowjetunion kam. Über ihren späteren Verbleib gibt es keine Klarheit. Vermutlich hat das Bäumchen also noch zu Kriegszeiten den Weg aufs Festland gefunden und ist in Schleswig-Holstein geblieben. Und konnte so unversehrt in die Sammlung des Freilichtmuseums Molfsee aufgenommen werden. Die Autorin dieses Textes, Babette Tewes, ist Chefkuratorin der neuen Dauerausstellung im Jahr100Haus Molfsee.