Corona: Die Szene der Amateurmusiker und -sänger weiter ohne Perspektive

„Der Name sagt es doch schon: Amateure, die Liebhaber der Künste“, erinnert der Dirigent Imre Sallay an die französische Wortherkunft für Hobbymusikerinnen und -musiker. Mit der Zugehörigkeit zu einem Ensemble, emotional bewegt von Proben und Konzerten, werde das Musizieren ein wichtiger, vielleicht sogar zentraler Teil ihres Lebens. Amateur: Die Liebe zum musikalischen Hobby: „Dieser Liebe wird Zeit geopfert, man übt, lässt sich in Proben ,quälen’ – all das verbindet auf einzigartige Weise.“ Es entstehe parallel zum Beruf oder als ganz neuer Beschäftigungsimpuls nach dem Berufsleben „eine Lebensart, die jetzt in höchster Gefahr ist“. Man fühle sich, das registriert der studierte Profi bei den Mitgliedern seiner in Niveau und Stil ganz unterschiedlich ausgerichteten Chöre und Instrumentalensembles, durch den Corona-Lockdown aufgehalten, von sinnvoller Beschäftigung abgeschnitten, man spüre eine Leere. Corona: Chöre und Kammerorchester im Abseits: Andreas Kuptz, ehrenamtlicher Vorsitzender der Liedertafel Gettorf und ehemaliger Dataport-Gruppenleiter, und Christian Gutekunst, Konzertmeister des Klassikensembles Kiel und des Kieler Kammerorchesters sowie Facharzt in der UKSH-Gefäßchirurgie, mahnen bessere Lösungen für die durch Corona-Verordnungen völlig lahmgelegte Amateurmusikszene an. Corona: Erprobte Hygienekonzepte: Bei gutem Wetter im Freien oder später in großen Räumlichkeiten habe man im Vorjahr mit entsprechenden Hygienekonzepten und gut organisiert „positive Erlebnisse“ geschaffen, „mit hohem Verantwortungsbewusstsein und völlig ohne in den Proben zu irgendeinem Infektionsgeschehen beigetragen zu haben“, wie der Arzt und Geiger Gutekunst betont. „Jetzt, wo alle Möglichkeiten versperrt sind, nehme ich sehr viel Apathie wahr.“ Corona: Selbstverantwortung, Impfungen, Tests: Der begeisterte Sänger Andreas Kuptz: „Alle Beteiligten wollen unbedingt vermeiden, dass sich jemand infiziert. Und warum soll 2021 nicht mehr funktionieren, was 2020 bestens funktioniert hat?“ Die geübte Selbstverantwortung in Verbindung mit Abstandskonzepten, dem Impfen und den Tests habe die Situation eher verbessert. Wissenschaftliche Aerosol-Studien dringen bei der Politik nicht durch: „Warum dringen die wissenschaftlichen Aerosol-Studien etwa vom Bundesumweltamt und dem Fraunhofer-Institut nicht zu den Politikern durch?“, fragt Kuptz. Alle haben vor der Krise eine beständig aktive und sich selbst erneuernde Szene erlebt, die in der stilistischen Breite sogar gewachsen sei, ohne Traditionen zu vernachlässigen. Jetzt gerät sie zunehmend in Gefahr. Keine Nachwuchsarbeit, freie Musikerszene existenziell bedroht: „Es kommt kein Nachwuchs, keine neuen Sänger, weil wir nichts anbieten können. Der Schnuppereffekt entfällt“, so Kuptz. Und Anja Reuter, gefragte Hornistin in vielen Orchesterprojekten, ist zudem froh, dass sie in diesen totenstillen Tagen wirtschaftlich nicht vom Musikmachen abhängig ist. Sie registriert bedrohliche Schäden im Bereich der freischaffenden Mitspieler, deren professionelle Beiträge wiederum für den Amateurmusikbereich von tragender Bedeutung sind: „Eine harte Zeit der Ängste und Sorgen. Und unabhängig vom Existenziellen fehlt vielen das gemeinsame Musizieren – dieses besondere Gefühl kann man eben alleine nicht herstellen. Die Situation ist traurig.“ Corona: Hypotheken für den Nachwuchs: Die Miz-Studie zur Amateurmusikszene in Deutschland belegt, dass vor der Corona-Pandemie jede(r) zweite Jugendliche ein Instrument gelernt oder im Chor gesungen hat. Das ist ohne Frage eine erfreuliche Quote. Bettina Günst, als freie Cellistin und Musikpädagogin in der Region um die Kieler Förde aktiv, registriert seit längerem einen positiven Einfluss der Schulen auf diese Entwicklung. Durch den mehrfachen Corona-Lockdown liege das jetzt allerdings völlig brach. „Gerade in den speziell musikalisch ausgerichteten Einrichtungen wie etwa dem Ernst-Barlach-Gymnasium wirkt sich das extrem aus. Das ist richtig hart für alle Beteiligten“, so Günst. Sozialökonomische Hürden für den Einstieg der Kinder: Bestätigen kann sie aus eigener Anschauung, dass es noch zu hohe sozialökonomische Hürden für das Musizieren in jungen Jahren gibt. „Ich habe mal das Cello in einer Schulklasse mit eher benachteiligtem sozialen Umfeld vorgestellt. Die Begeisterung war riesig. Ich habe viele leuchtende Augen gesehen. Aber ich glaube kaum, dass auch nur ein einziges Elternpaar dieser Schülerinnen und Schüler Instrumentalunterricht hätten finanzieren können.“ Das bestehende System, sozial schwache Kinder und Jugendliche über stark reduzierte Honorarsätze an den Musikschulen auszubilden, sei offenbar noch nicht ausreichend. Prägende Zeit: Musizieren an den Grundschulen: Der Geiger Christian Gutekunst macht sich Sorgen um das aktuell ausbleibende Singen und Musizieren schon in den Grundschulen: „Ein, zwei Jahre sind in der kindlichen Entwicklung eine lange, prägende Zeit, die man später nicht aufholen kann