Corona: Wie der Lockdown die Kirchenmusik in Schleswig-Holstein hemmt

Das Kantoren-Ehepaar Gertrud Reinel und Klaus-Martin Eggers bietet ein gutes Beispiel für ganz unterschiedliche Arbeitsbedingungen allein schon im Raum Kiel. Während Reinel in Kronshagen zu ihrem großen Bedauern alle ihre kirchenmusikalischen Planungen durch die Absage der Festtagsgottesdienste ab sofort und bis in den Januar hinein auf Null zurückfahren muss, kann Eggers künstlerisch tätig bleiben. Corona: Vokalquartette und Blechbläser: „Natürlich gibt es nachvollziehbare Gründe für die Absagen. Aber ich bin mit unserer Pastorin in Wellingdorf einig, dass die Menschen ohne jeden gesellschaftlichen Druck frei entscheiden, ob sie unsere Angebote zu Trost und Botschaft unter den gebotenen und umgesetzten Hygienemaßnahmen annehmen möchten“, so Eggers. Seinen Chor kann er nicht einsetzen, hat aber mit besonders sicheren Stimmen drei Vokalquartette daraus gebildet, die jeweils von der Orgelempore Text und Musik endlich wieder zusammenbringen. Draußen setzt er auf das stimmungsvolle Musizieren klein besetzter Blechbläserensembles. Corona: Orgel mit Solisten, Chor in Stimmen mit fernen Zielen: Mit seinem Chor hatte er im September angefangen, zumindest in Schichten wieder Stimmproben anzubieten, etwa um weiter auf die in den Herbst 2021 verschobene Aufführung von Händels Messiah hinzuarbeiten und das Gemeinschaftsgefühl zu pflegen. An der Orgel hat in den vergangenen Monaten häufig Sänger- oder Instrumentalsolisten eingebunden. Und er sei, das mal als positiver Effekt der Pandemie, durch die Freiräume mehr zum Üben und Erkunden von Repertoire am Orgelspieltisch gekommen. „2021 ist Saint-Saens -Gedenkjahr ...“ Landeskirchenmusikdirektor Hans-Jürgen Wulf zur Corona-Situation: Landeskirchenmusikdirektor Hans-Jürgen Wulf sieht in der Situation eine „große Herausforderung“ und verweist in ihrer Bewertung und Behandlung „auf derzeit ganz unterschiedliche Verhältnisse etwa zwischen Husum und Lübeck“. Die Verfassung der Nordkirche überträgt die Verantwortung für die Veranstaltung oder Absage von Gottesdienst und der damit verknüpften Kirchenmusik den Kirchengemeinden. Somit gebe es nur Empfehlungen, die einen Rahmen vorschlagen, in dem gehandelt werden sollte. Über die Kreiskantoren könne er Vorschläge machen, beispielsweise was akzeptable Besetzungsgrößen von Ensembles angehe. „Aber die Nordkirche erstreckt sich zudem über drei Bundesländer mit ganz unterschiedlichen Verordnungen“, gibt er zu bedenken. Corona: Verluste und Wertschätzung: „Die Corona-Krise hat Verzicht auf liebgewordene Traditionen gebracht, den Verlust von Gemeindegesang, von Proben der Ensembles und damit von Gemeinschaft.“ Im Erfinden von Ersatzformaten sieht er zwischen analog und digital immerhin auch positive Effekte in der Herausforderung der Kreativität. Und in der Wertschätzung: „Das vorher Selbstverständliche ist zum erstrebenswerten Luxus geworden. Es ist eine große Sehnsucht nach dem Singen und der Kirchenmusik spürbar.“ Erfreut hat ihn außerdem die Solidarität der Kantoren mit der Szene freischaffender Musiker. Und der Digitalisierungsschub mit dem Entstehen von erstaunlichen Ersatzformaten gerade in Sachen Proben, Stimmbildung, Lernmethoden. „Zum Beispiel haben die Stimmbildungskurse vom Kirchenchorwerk der in Altona wirkenden Landeskantorin Christiane Hrasky wunderbare Resonanz erfahren und bewirkt“, so Wulf. Corona: Größte Sorge ist die Nachwuchsarbeit: Die größte Sorge bereitet ihm und vielen Kantoren im Land aber die weitgehend unmöglich gewordene kontinuierliche Nachwuchsarbeit in den Chören und bei den Bläsern: „Auf diesem Sektor befürchten wir weitreichende Folgen durch Corona.“ Hier waren die Hygienekonzepte am schwierigsten umzusetzen. Kinderchor ohne Berührung mit zweieinhalb Metern Abstand sei fast nicht darstellbar. „Nach dem Stop and Go diesen Jahres kann man nur hoffen, dass 2021 eine Phase stabilerer Instabilität kommt, die regelmäßige Gruppenarbeit gerade mit Kindern und Jugendlichen wieder ermöglicht.“