Die Händel Festspiele sind mit „Alcina“ in Karlsruhe eröffnet worden

Der Musikfreund kann sich glücklich schätzen, dass es in Deutschland gleich drei renommierte Händel-Festivals gibt, die, jedes auf seine Art, die verschiedensten Aspekte seiner Kunst beleuchten. Halle an der Saale, wo Georg Friedrich Händel 1685 geboren wurde, ist in jedem Mai für viele Barock-Fans zu einem selbstverständlichen Treffpunkt geworden und Göttingen kann sich rühmen, dass dort 1920 die Renaissance der über 150 Jahre nicht gespielten Händel-Opern begann – dem Pioniergeist und der Initiative einiger Professoren haben wir die Wiederentdeckung von zweiundvierzig grandiosen Meisterwerken zu verdanken! In Karlsruhe aber kommen in jedem Jahr am Geburtstag (23. Februar) des Komponisten die Fans von Nah und Fern hier zusammen, um zwei Wochen lang ein weit gespanntes Programm zwischen Kammerkonzert, Oratorium und Oper zu genießen. In diesem Jahr stand die Neuinszenierung der „Alcina“ im Mittelpunkt des Interesses. Der junge amerikanische Regisseur James Darrah hat jetzt mit dieser 1735 in London uraufgeführten Oper die Händel-Festspiele 2018 eröffnet. Sein Bühnenbildner-Team „Macmoc Design“ hat ihm für alle drei Akte ein ästhetisch schön anzuschauendes Einheitsbild entworfen, das mit seinen Stricken und Latten und der Projektionsfläche für Videos ein wenig zu neutral, zu kunstgewerblich ausgefallen ist. Die üppige Verwendung von goldfarbenen Flächen und die zauberhaften Kostüme passen gut zu der märchenhaften Atmosphäre dieser auf Ariosts „Orlando furioso“ basierenden Märchenoper. Ein an weiße Segel erinnernder Vorhang verdeutlicht, dass sich das Reich der Zauberin Alcina auf einer nur mit Schiffen erreichbaren Insel befindet. Erst ganz am Schluss wird durch ein Video klar, dass Alcina eigentlich eine alte Frau ist, die ihre Zauberkünste dazu nutzt, jung und attraktiv zu erscheinen. So kann sie sich die Männer, die ihr gefallen, aussuchen, und wenn sie ihr als Liebhaber langweilig werden, entledigt sie sich ihrer, indem sie sie in Tiere, Felsen, Bäche und dergleichen verwandelt. Die einfühlsam gestaltete Inszenierung führt uns in eine Welt vielschichtiger Wahrheiten, in der es schwierig ist, sich zu orientieren, zu wissen was gut und was verwerflich ist. Kann man Alcina einen Vorwurf daraus machen, dass sie die ihr zur Verfügung stehenden Zauberkünste nutzt, um einen jungen Mann wie Ruggiero an sich zu binden? Kann man ihr übel nehmen, dass sie auf Rache sinnt, wenn er sie verlässt? Ist der mit Bradamante verlobte Ruggiero ein selbstverliebter Luftikus, wenn er den übermächtigen Reizen der Alcina erliegt? Ist es verwerflich, dass er sie plötzlich Bradamantes wegen verlässt, und seinen Pflichten als Ritter nachkommt? Den anderen Figuren geht es ähnlich, vor allem Morgana, Alcinas Schwester, die sich Hals über Kopf in die als Mann verkleidete Bradamante verliebt und so Oronte, ihren Geliebten, gegen sich aufbringt. Ein moralisches Urteil über die auf der Insel nach ihrem ganz persönlichen Glück suchenden Menschen zu fällen, ist unmöglich. Alle begehren jemanden, den sie nicht bekommen können und niemand ist wirklich zufrieden mit dem, was er bekommt. Das Karussell der Liebe schüttelt alle durcheinander, und obwohl am Schluss der Oper eigentlich so etwas wie Frieden einkehren könnte, obwohl sich im traditionellen ‚lieto fine‘ Harmonie ausbreiten sollte, stehen in dieser Inszenierung einige dunkle Fragezeichen am Ende, die zum Nachdenken auffordern. Das ist sicherlich ganz im Sinn des Komponisten, der in der psychologisch fein austarierten „Alcina“ Hell und Dunkel auf geniale Weise im Gleichgewicht hält. Zur Eröffnung des Festivals wies der Operndirektor Michael Fichtenholz darauf hin, dass Händel die besten Stimmen aus Europa für seine Opern verpflichtet habe und fügte hinzu: „Diesem Anspruch wollen wir in Karlsruhe ebenfalls genügen.“ Und so ist die „Alcina“-Premiere auch zu einem Stelldichein von großen, weltweit gefeierten Starsängern geworden. Die Titelrolle kann kaum besser besetzt werden als mit der kanadischen Sopranistin Layla Claire, die der Zauberin sehr menschliche Züge verleiht und in ihrer großen Arie „Ah, mio cor“ auf erschütternde Weise den Verlust ihrer Magie und damit ihrer Attraktivität als Frau und Liebende beklagt. Man kann gut verstehen, dass sie einem Liebhaber wie Ruggiero nachtrauert, der so gut aussieht und derart makellos und innig singt wie der australische Countertenor David Hansen. Die aus Polen gebürtige Sopranistin Aleksandra Kubas-Kruk gestaltet die Rolle der Morgana mit leuchtend hellem, vollem Sopran und bleibt der Sinnlichkeit dieser sexbesessenen Frau nichts schuldig: Man denke nur an die Beharrlichkeit, mit der sie dem vermeintlichen Ricciardo schon gleich zu Beginn der Oper nachstellt. Dieser, der in Wirklichkeit Bradamante heißt, findet in der italienischen Altistin Benedetta Mazzucato eine wundervolle Darstellerin, die allerdings in Männerkleidern noch immer sehr weiblich wirkt. Natürlich wird in Karlsruhe in der italienischen Originalsprache gesungen und selbstverständlich spielt man die Oper ungekürzt, was auch die herrliche, für einen 14-jährigen Knaben nachkomponierte Musik mit einschließt. Händel hatte einen Narren an dem Jungen gefressen und fügte zwei Arien für ihn hinzu, in denen er die Verwandlung seines Vaters in ein Tier beklagt. Andreas Spering, ein ausgewiesener Barock-Kenner, führt die auf historischen Instrumenten spielenden Deutschen Händel-Solisten umsichtig und mit Feingefühl für Nuancen und Farbvaleurs durch die umfangreiche Partitur. Gelegentlich aber hätte man sich einen beherzteren Zugriff und stärkere Akzente gewünscht. Nach 4-stündiger Aufführungsdauer gab es frenetischen Applaus für alle. Die hochkarätig besetzten Solisten-Konzerten sind in Karlsruhe ein ganz besonderer Publikumsmagnet, und wenn ein Jungstar wie Valer Sabadus auftritt, kann man sicher sein, eine musikalische Sternstunde zu erleben. Zusammen mit neun Musikern der Deutschen Händel-Solisten führte er das Publikum in seinem „Tiranno Amor“ betitelten Programm von Händel zu Porpora, Telemann, Vivaldi und anderen Barockkomponisten. Der balsamische, engelsgleiche Klang, den er seinem Countertenor entlockt, das langsame und gleichmäßige Anschwellen eines Tons, die „messa di voce“, die ungemein subtil gestalteten Nuancen in jedem einzelnen Wort – das alles sind seine unverwechselbaren Markenzeichen. Man muss einmal gesehen haben, wie er seinen gesamten Körper in den Dienst des Gesanges stellt, wie er mit harmonischen Bewegungen dem Rhythmus folgt, wie er mit lebhaften Gesten eins wird mit der Musik, um so die himmlischsten Töne zu erzeugen, die er dann mit der Gelassenheit eines Orpheus aus sich herausströmen lässt! Und wenn es am Schluss – nach so viel Herrlichkeiten – auch noch eine Zugabe wie „Lascia la spina“ gibt, dann steht das Publikum derart unter Hochspannung, dass es sich mit stehenden Ovationen und lauten Bravo-Rufen Luft machen muss. www.staatstheater.karlsruhe.de

Händel Festspiele - Stelldichein großer Sänger