Die Katharinenuhr im Jahr100Haus Molfsee: Tickendes Symbol für Mobilität

Der Mensch will mobil sein. Mobilität ist Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, bildet eine Basis unseres Lebens und Wirtschaftens. In einem von Flüssen und Kanälen durchzogenen Flächenland wie Schleswig-Holstein ist es manchmal eine echte Herausforderung, von Süd nach Nord oder noch viel mehr von West nach Ost zu gelangen. Von einer Reise auf die Halligen oder die Inseln einmal ganz abgesehen. In der Vergangenheit kam es aber auch vor, dass Menschen aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen das Land verlassen mussten. Oder sie sind den umgekehrten Weg gegangen und haben Zuflucht und Arbeit in Schleswig-Holstein gefunden. Doch es sind nicht nur die Menschen selbst, die von A nach B reisen, auch die Dinge, die sie mitnehmen, sind somit ständig unterwegs. Weitgereiste Taschenuhr: Eine Zeugin der insbesondere im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert massenhaften Auswanderung von Schleswig-Holstein in die Vereinigten Staaten von Amerika ist eine kleine Taschenuhr, die in schleswig-holsteinischem Familienbesitz in der Zeit zwischen den Kriegen von Kiel nach San Francisco in Kalifornien gelangte. Vor wenigen Jahren ist sie nach Schleswig-Holstein zurückgekehrt und befindet sich heute in der Sammlung der Landesmuseen. Lesen Sie auch: Jahr100Haus" hebt Alltag auf den Sockel Poseidon im Inneren der Taschenuhr: Es handelt sich um eine Spindeltaschenuhr in einem reich verzierten Doppelgehäuse. Sie besteht aus teils vergoldetem Messing. Das innere Gehäuse zeigt in feinster Treibarbeit den Meeresgott Poseidon mit seiner Gemahlin auf einem von Pferden gezogenen Streitwagen. Ein Motiv, das in der Kunst des 18. Jahrhunderts sehr beliebt war. Das zweite Gehäuse ist mit grün gefärbtem Haifischleder bespannt und mit einem floralen Muster fein verziert. Beide Gehäuse werden von kleinen Schallöffnungen durchbrochen, um den hellen Klang der kleinen Glocke im Inneren nach außen dringen zu lassen. Ein Meisterstück für Katharina die Große: Die Taschenuhr ist ein wahres Meisterstück der Goldschmiede- und Uhrmacherkunst des 18. Jahrhunderts. Vor fast 300 Jahren in London hergestellt, kommt sie bald in den Besitz der Zarin Katharina der Großen. In der schleswig-holsteinischen Familie wird die Uhr daher nur als Katharinenuhr bezeichnet und hochgeschätzt. Doch die Geschichte geht noch weiter. Der holsteinische Politiker Casper von Saldern (1711-1786), Vertrauter Katharinas, erhält die Taschenuhr am russischen Hof als Geschenk für seine Verdienste rund um die Verhandlungen zwischen Dänemark und Russland, das Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf betreffend. Von Russland nach Schierensee: 1773 jedoch fällt von Saldern bei der Zarin in Ungnade und muss Russland Hals über Kopf verlassen. Er geht zurück nach Holstein auf sein Gut Schierensee, das heute unter Denkmalschutz steht und von der Fielmann-Stiftung verwaltet wird. So gelangt also die Londoner Uhr von Russland nach Schleswig-Holstein. Ein Kieler Weinhändler kauft sie nach dem Tod von Salderns aus dessen Nachlass. 150 Jahre lang bleibt sie nun als Familienerbstück an der Kieler Förde, wird gehegt und gepflegt und regelmäßig von einer Kieler Uhrmacherwerkstatt gewartet; kleine bedruckte Werkstattzettel im Inneren der Uhr belegen dies. Von Kiel nach Kalifornien ... und zurück nach Molfsee: Doch zwischen den beiden Weltkriegen wandern ihre damaligen Besitzer in die Vereinigten Staaten aus, die kleine Uhr tickt fortan unter der Sonne Kaliforniens. Ihre letzte amerikanische Besitzerin, die mit ihrer Familie als Kind ausgewandert war, entscheidet, dass dieses besondere Stück wegen seiner Verknüpfung mit der Geschichte Schleswig-Holsteins in das Land zwischen den Meeren gehört und stiftet die Uhr 2011 den Landesmuseen. Dort wird sie von Helmut Tüxen aus der alteingesessenen Uhrmacherfamilie in den Folgejahren sorgsam restauriert. Nun wird die Taschenuhr in der neuen Dauerausstellung im Jahr100Haus in Molfsee zu sehen sein. Die Autorin Babette Tewes ist Projektleiterin und Chefkuratorin der Dauerausstellung im Jahr100Haus Molfsee. Alltagskultur in sechs Themenbereichen: 2021 eröffnet die Dauerausstellung im Jahr100Haus des Freilichtmuseums Molfsee. Durch die Pandemie und den Lockdown verschiebt sich der ursprünglich für den 15. Januar geplante Termin. Die neue Ausstellung beschäftigt sich mit der Alltagskultur in Schleswig-Holstein in den letzten 100 Jahren. Sie greift große Fragen des Alltags auf und spürt ihnen in sechs Themenbereichen nach, die sich den Themen Rhythmus (Lesen Sie dazu auch Weihnachtsbaum mit Tau statt Tanne ), Mobilität, Arbeit und Freizeit, Konsum, Beziehung und Kommunikation sowie Sicherheit widmen. Wir wollen auf die in diesem Frühjahr bevorstehende Eröffnung neugierig machen und stellen in einer Reihe die sechs Ausstellungsbereiche über besondere Exponate näher vor. Der zweite Teil steht heute für den Bereich Mobilität.