Intendanten zu Stufenplan: Theater in Schleswig-Holstein fordern mehr Mut und Vertrauen

Die Theater wollen auf den Stufenplänen für den Weg aus dem Corona-Lockdown nicht zu weit hinten stehen und verweisen in diesem Kontext nicht nur auf differenzierte und bewährte Hygienekonzepte, sondern auch auf ihren gesellschaftlichen Auftrag. Theater in Schleswig-Holstein wollen auf Eigenverantwortung setzen: Daniel Karasek (Theater Kiel), Ute Lemm (Landestheater SH) und Caspar Sawade (Theater Lübeck) möchten ihre Häuser nicht zum Spielball sich schnell verändernder Infektionsraten und Inzidenzwerte werden lassen, machten sie am Montag im Gespräch mit den Kieler Nachrichten deutlich: Zumindest in einem weiter gefassten „Inzidenzkorridor“ wollen die Theaterleitungen verlässlich planen und eigenverantwortlich entscheiden können, wie man angemessen auf die jeweilige Lage reagieren kann. Das könnte dann auch auf hausinterne Stufenpläne hinauslaufen, die die Theater mit einer verkaufstechnisch verlässlichen Strategie verbinden würden. Die Kulturminister der Länder haben für die Kanzlerin und die Regierungschefs vor dem Treffen am Mittwoch einen Drei-Stufen-Plan für ein Eröffnungsszenario ohne konkrete Daten entworfen: Parallel zur Wiedereröffnung der Schulen und Kitas sollen außerschulische Bildungsangebote der Kultureinrichtungen zugelassen werden. Gleichzeitig mit dem Einzelhandel könnten Museen, Galerien, Gedenkstätten und Bibliotheken einen Basisbetrieb anbieten. Theater, Opern- und Konzerthäuser und Kinos sollen öffnen können, wenn dies auch der Gastronomie wieder erlaubt wird. Ein Ende Januar vorgelegter Perspektivplan der schleswig-holsteinischen Landesregierung sieht die Öffnung der Theater und Konzerthäuser für einzelne Schulkohorten vor, wenn der Inzidenzwert 21 Tage lang stabil unter 50 liegt. Liegt der Inzidenzwert sieben Tage stabil unter 35, dürften Theater, Konzerthäuser und Kinos auch für die Allgemeinheit öffnen. Das Vertrauen des Publikums nicht verspielen: Orientiere man sich dagegen weiter nur an den aktuellen Schwankungen, verliere das Publikum durch das ständige Hin und Her Vertrauen – dann würde es sich für große Institutionen als kontraproduktiv erweisen, kurzfristig zu öffnen, ist Karasek überzeugt. Die Theater bräuchten, darin sind sich alle einig, mit Blick auf Proben wie Vermarktung einen Vorlauf von rund vier Wochen, um planvoll wieder vor Publikum spielen zu können. Lesen Sie auch: Daniel Karasek im Interview: "Wir leben von Wenn-Plänen" "Wir sind als Institution ein virussicherer Ort": Caspar Sawade: „Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, wie lange können wir ein Leben ausblenden, das wir als soziale Wesen brauchen, wie lange können wir still halten, um das Leben zu schützen – und es andererseits aufgeben?“ Das Virus dürfe unser Denken nicht allein beherrschen. Die Theater hätten Hygiene-Konzepte, die bisher dafür gesorgt haben, dass kein Ansteckungsfall bekannt ist. „Wir sind als Institution ein virussicherer Ort“. Damit stünden die Theater in den Öffnungsdiskussionen unberechtigt weit hinten an. Daniel Karasek hält „ein reines Angst-Szenario“, ausgerichtet auf die rettende Durchimpfung der Bevölkerung, als Zukunftsperspektive zu kurzsichtig: „Wir können nicht bei jeder Viruswolke die Gesellschaft runterfahren“. Der Kieler Intendant appelliert, im Umgang mit der Pandemie andere Konzepte zu entwickeln. Begegnung und Austausch als gesellschaftlicher Auftrag: Ute Lemm verweist erneut auf den gesellschaftlichen Auftrag, „dass wir die Foren sind, wo man sich begegnet und austauscht. Wir können im Moment genau das nicht tun, wofür wir von der Gesellschaft die Legitimation erhalten haben“. Perspektivisch betrachten die Intendanten das mit großer Sorge. Was unter den Rahmenbedingungen der Pandemie möglich sei und was nicht, ließe sich noch weiter ausdifferenzieren, sind sich alle einig. Nicht nur auf ein Go oder No Go warten: Alle 14 Tage ohne Einflussmöglichkeiten eine neue Entscheidung in Sachen Lockdown abzuwarten, das „macht keinen Spaß“, sagt der Lübecker Generalmusikdirektor Stefan Vladar. Vielmehr möchten die Theaterleute Möglichkeiten nutzen, mitzuentscheiden und ihre Kompetenz einbringen. Dabei ließe sich auch die Mobilität entsprechend der Inzidenzen lenken, wenn das Platzangebot ohnehin deutlich reduziert sei: 50, 100... 200. Es wäre, sagt Karasek, „für uns der bessere Weg, wenn wir das aktiv begleiten könnten und nicht jeweils auf ein Go oder No Go warten müssen“, was Planung unmöglich mache. Ute Lemm: Wir haben in September/Oktober ja gezeigt, dass sich vor den Theatern keine Menschenmassen unkontrolliert geballt hätten. Das waren wirklich sichere Orte. Wenn man sich durch die Supermärkte drängen kann, dann haben wir als Gesellschaft die Aufgabe, auch die anderen Orte zu öffnen, die viel besser strukturiert sind und die ganz genauso zum Selbstverständnis unserer Gesellschaft dazugehören.“ Theater brauchen ein verlässliches Modell: Es geht den Theaterleuten „um ein flexibles Modell, ein verlässliches System, auf das wir nach der Wiederöffnung bis zum Ende der Spielzeit bauen können“ wie es Caspar Sawade formuliert. Die Häuser hätten ein Grundvertrauen verdient. GMD Vladar betont, wie sein Kieler Kollege Benjamin Reiners, wie wichtig es sei, die Risikobeurteilung zu differenzieren. Das betrifft zum einen den unterschiedlichen Charakter von Kulturveranstaltungen. Zudem würden zahlreiche Studien, etwa zu Orchesteraufstellungen, Testungen, Aerosolbelastung, von der Politik bis dato weitgehend ignoriert. Man will ein klares Signal geben, aktiv mitzuwirken, um dann nicht plötzlich wieder von einer neuen Verordnung überrascht zu werden. "Ein bisschen mehr Mut, was die Theater angeht": Derzeit, so Vladar mit Zustimmung aller anderen Theaterleute, „sind wir nicht mit von der Partie“. Lockerungsdiskussionen würden gar zu vorsichtig und ängstlich geführt. Man wünscht sich „ein bisschen mehr Mut, was die Theater angeht“. Benjamin Reiners: „Wir wollen gehört werden.“