Mit Gesang, hieß es immer wieder, habe die Elbphilharmonie so ihre Probleme. Zumindest teilweise sind sie lösbar: So dürften sich seit Mittwochabend bei einer Aufführung desselben Werkes am selben Ort mit anderen Interpreten die Wogen deutlich geglättet haben: Da verloren sich die Stimmen weit weniger. Weil vieles anders war.
Künftig nur noch Laeiszhalle?
Doch Jonas Kaufmanns Aussage steht weiter im Raum: „Dieser Saal gibt einem keine Hilfe“, sagte der sonst vielfach umjubelte Gesangsstar noch unter dem Schock heftiger Publikumsreaktionen und kritisierte den Zusammenhang zwischen Klang und „verstörender“ Materialwahl etwa der weißen Gipshaut. „Mit Holz gäbe es einen wärmeren, weichen Klang“. Als Konsequenz kündigte er im Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“ gar an, den nächsten Liederabend wohl eher wieder in der bewährten Laeiszhalle zu geben: „Dort ist es doch wunderbar“.
Manko schon bei der Eröffnung
Kaufmann selbst dürfte die akustischen Eigenschaften und Eigenheiten der vor gut zwei Jahren eröffneten Elbphilharmonie kennen – er ist dort nicht zum ersten Mal aufgetreten. Schon beim Eröffnungskonzert hätte er dabei sein sollen. In der Uraufführung von Wolfgang Rihms Auftragskomposition vertrat ihn vorn an der Bühnenrampe, gleich neben dem Dirigenten, der Tenor Pavol Breslik. Und war auf den Plätzen hinterm Orchester ebenfalls kaum zu hören.
Weg von der Rampe und hinters Orchester
Seit zwei Jahren ist das Problem mithin bekannt. Und wird seitdem oft so gelindert, wie elf Tage nach Kaufmanns jüngstem Auftritt: Die Solisten werden auf der zentralen Bühne im oder hinter dem Orchester platziert, weil sie so besser in den Raum strahlen können. Am Mittwoch füllte Heldentenor Andreas Schager zusammen mit Tanja Ariane Baumgartner (Mezzosopran) Kaufmanns Partie aus. Valery Gergiev dirigierte die Münchner Philharmoniker. Grandios. Und die Balance stimmte auch auf den Plätzen hinter dem Orchester. Dort, wo Kaufmann für viele Zuhörer kaum zu hören gewesen war.
Eine empfindliche Balance
Womöglich deshalb, weil er entgegen mancher Empfehlung klassisch vorn neben dem Dirigenten stand. Vielleicht, weil er sich durch die Vereinigung beider Solo-Partien auch stimmlich übernommen hatte. Oder das von Jochen Rieder geleitete Sinfonieorchester Basel unstimmig laut war. Was dazu führte, dass Besucher unüberhör- und -sehbar Plätze wechselten und Missfallen auch verbal kundtaten („Hier hört man auch nichts ...“).
Mehr Transparenz, weniger Wärme
Fast ein Eklat – die Diskussion war befeuert. Denn nach zwei Jahren und Erfahrungen aus rund 800 Konzerten ist die mit überreichlich Vorschusslorbeeren versehene, von Yasuhisa Toyota entwickelte Elbphilharmonie-Akustik ein wenig entzaubert. Nicht jeder kann sich mit der rigorosen Transparenz des Klanges anfreunden – auch nicht jeder Dirigent, der dagegen etwa die klangliche Wärme, die Intimität des Kieler Konzertsaales im Schloss schätzt. Auch die große Wagner-Sopranistin Nina Stemme konnte kürzlich an der Förde offenkundig besser auftrumpfen als an der Elbe.
Weinberg contra Schuhkarton
Das Weinberg-Prinzip des bis in die bühnenumschlingenden Zuschauerränge extrem hellhörigen Hamburger Saales hat gegenüber dem klassischen „Schuhkarton“ seine Vorzüge, wenn es um sinfonischen Surroundklang, um Nähe, das Raumerlebnis geht. Aber auch Nachteile – gerade bei Liederabenden. Die HamburgMusik gGmbH ist als Herrin über Elbphilharmonie und Laeiszhalle in der glücklichen Lage, die Konzerte sach- besser: klanggerecht anzusiedeln. Wenn der Elbphilharmonie-Hype sich gelegt hat, kann sich das fast von allein ergeben – im Sinne der Zuhörer wie der Interpreten.
Die Stimme schallt eben nach vorne
Während die Auffassungen über das, was einen perfekten Konzertsaal ausmacht, munter auseinander gehen, dürfte unstrittig sein, dass nicht nur in der sensiblen Elphi die menschliche Stimme einen sehr gerichteten Schall nach vorne abgibt. Wer hinter dem Sänger, ja: auch dem Chor, sitzt, wird immer und überall das Nachsehen haben (wobei sich hier der Klang nach oben hin wieder besser mischt). Deshalb wird mittlerweile überlegt, ob man bei absehbaren „Problemfällen“ an der Preisgestaltung nachbessern, sprich: die Plätze hinter der Bühne bei Lieder- und Arienabenden günstiger anbieten sollte. Intendant Christoph Lieben-Seutter bestätigte Gespräche mit Veranstaltern.
Mit Ansprache oder realistischen Erwartungen
Oder man warnt vor. O-Ton Jonas Kaufmann: „Beim nächsten Mal würde ich gerne eine kleine Ansprache darüber halten, wie filigran die Akustik im Großen Saal ist“. Nun, manchmal können auch schon realistische Erwartungen helfen.
Mehr aus der Kultur lesen Sie hier