Jule Gröning mit David Mamets Erfolgsstück „Oleanna“ im Schauspiel-Studio

Ungleicher könnten die Rollen kaum verteilt sein: Er aufrecht und bestimmend am Telefon mit Ehefrau und Hauskauf beschäftigt, ohne einen Blick für sein Gegenüber. Sie hibbelig um Aufmerksamkeit buhlend, nervös hin und hergerissen zwischen Gehen oder Bleiben. Auf einer von unten beleuchteten Scheibe stehen sie sich gegenüber: John, Professor auf dem Sprung in die Anstellung auf Lebenszeit, und Carol, Studentin mit Lern- und Identitätsproblem. Versuchsanordnung "Oleanna": Es könnte auch eine Versuchsanordnung sein oder eine Spielshow im Fernsehen, die auf der kühl neutralen Bühne von Sandra Bröske im Studio im Schauspielhaus abgeht. Und Regisseurin Jule Gröning zeigt David Mamets 1992 uraufgeführtes Erfolgsstück Oleanna über möglichen sexuellen Missbrauch und fehlgeleitete Political Correctness mit den Schauspielern Tiffany Köberich und Oliver E. Schönfeld als konzentriertes Kammerspiel. Die Kontrahenten treten an wie im Ring, vielleicht nur als Teil einer ganzen Versuchsreihe, dem Voyeurismus der Zuschauer ausgesetzt in einem Wettbewerb um Macht und missglückte Kommunikation. Und um die Frage: Hat er sie nun missbraucht oder nicht? Professor und Studentin: Sie will einfach nur den Seminarschein, der sie ins nächste Semester bringt; er lässt sie zappeln, genießt ihre Unsicher- und seine Überlegenheit und lässt sich dann doch gnädig herab, der Studentin seine Hilfe anzubieten. Zuhören mag dabei keiner dem anderen; die Sätze wirken hier noch abgebrochener. Und das nervige Telefon, das dem Gespräch, das keines ist, immer wieder in die Parade fährt, tut sein übriges. Tiffany Köberich als Oleanna: „Ich bin dumm“, wiederholt sie oder: „Ich verstehe nicht.“ Sätze, die Tiffany Köberich zum schlagenden Mantra macht – mit weinerlicher Verzweiflung kokettierend, aber auch mit dem Trotz der Verweigerung: Wenn sie nicht versteht, dann ist das die Schuld der anderen, klingt da mit. Die Springerstiefel unterm Flatterkleid hätten das vielleicht schon verraten können. Oliver E. Schönfeld als John: Oliver E. Schönfelds John setzt väterliche Jovialität und das ungelenke Bemühen des hierarchisch Höherstehenden gegen die weibliche Hilflosigkeit, zieht der Hilfsbereitschaft dazu eine sämige Selbstverliebtheit ein. Dass er der Studentin bei seinen Bemühungen hier und da allzu nahe kommt, seine Hand flüchtig Arme oder Schulter streift, mancher Satz etwas unbeholfen klingt …das gehört doch zu den Kollateralschäden der Kommunikation, oder? Machtmissbrauch in "Oleanna": Wo eben noch Umkreisen war, herrscht bald brutaler Ernst – und zwar mit vertauschten Rollen. Wo es eben noch um ihren Studienerfolg ging, steht nun seine Beförderung auf der Kippe: „Sexistisch“, „elitär“, „Machtmissbrauch“ lauten die Vorwürfe in Carols Beschwerdebrief. Regisseurin Jule Gröning: Die Lunte ist kurz, mit der Jule Gröning das Konversationsstück von cool ins Hitzige treibt. Und irgendwann lassen die Schauspieler Carol und John tatsächlich aufeinander los. Das Missverständnis wird hier zur Waffe, die Sätze stehen im Raum wie niedergegangene Geschosse. Und wie Tiffany Köberich zur skrupellosen Rächerin mit der Mission zur Vernichtung wird, ähnelt in seiner beängstigenden Kompromisslosigkeit fast religiösen Extremismus. Auch wenn nicht ganz klar ist, wo in Carols larmoyanter Schüchternheit diese unerwartete Energie versteckt war. Fassungslosigkeit über die Vorwürfe Oleannas: Daneben schrumpft Schönfelds John von raumgreifender Selbstgewissheit zur Fassungslosigkeit. Und wie er zuverlässig in die Falle geht und – provoziert von Carols Sätzen, die man durchaus als Umkehrung der seinen lesen kann – ausrastet, das erscheint so programmgemäß wie verstörend. Mr. Hyde ist bei Carol und John niemals weit. #metoo-Thematik mit offenen Fragen: Was als Studie der misslungenen Kommunikation beginnt, eskaliert im verbalextremistischen Showdown. Man liest und sieht das Drama vor dem Hintergrund von #metoo noch einmal neu, sieht Johns Verhalten in Grönings Inszenierung deutlich durchblickt – und staunt dennoch, wie die Frage nach Recht und Unrecht weiterhin offenbleibt. Die Daten von "Oleanna" im Schauspielhaus: Studio im Schauspielhaus Kiel. 25. Januar (ausverkauft); 14., 16., 21. Februar. Karten: Tel. 0431/901901, www.theater-kiel.de Mehr zur Kultur in der Region lesen Sie hier.

Theater Kiel - Mamets Erfolgsstück „Oleanna“ in Kiel