Landesbibliothek SH: Zwischen Erbe und digitaler Zukunft

Ein Lesesaal mit Sitz- und Leseecken im Erdgeschoss. Öffnung zu Stadt und Wasser, ein Café und Multifunktionsflächen für Ausstellungen und Veranstaltungen. Die offene Galerie im ersten Stock musste zwar aus statischen Erwägungen gerade ad acta gelegt werden – aber Ideen gibt es genug für die Neugestaltung der Landesbibliothek im Sartori-Speicher. Und die Neuerung geht über das Bauliche weit hinaus. Die Pläne, die der niederländische, für seine Bibliotheksentwürfe vielfach preisgekrönte Architekt Aat Vos in seiner Ideenschmiede für den Umbau entwickelt hat, verbreiten ein neues, anderes Bibliotheksgefühl. „Ein dritter Ort“ ist das Zauberwort, mit dem das Planungsbüro aus Donderen öffentliche Gebäude zu Treffpunkten mit Aufenthaltsqualität machen will. "Kultureinrichtigungen verändern sich": Das beschäftigt auch das neue Leitungsteam der Landesbibliothek Martin Lätzel und Berit Johannsen. „Kultureinrichtungen verändern sich“, sagt Bibliotheksdirektor Lätzel und verweist auf den Digitalisierungsauftrag, den die Landesbibliothek, die im Oktober ihren 125. Geburtstag beging, von der Landesregierung bekommen hat. „Wenn wir uns dem nicht stellen, hat die Institution irgendwann auch ein Relevanzproblem.“ „Die gesamte auf die Geschichte der Provinz bezügliche und für dieselbe wertvolle Literatur“: So formulierte 1895 Gründungsdirektor Rudolph von Fischer-Benzon den Sammlungsauftrag. Dazu addierte er belletristische Texte, „die sich auf schleswig-holsteinische Verhältnisse beziehen“. Und seither hat die Landesbibliothek sämtliche handschriftlichen und Druckerzeugnisse gesammelt, die mit dem Land zwischen den Meeren zu tun haben – darunter auch sämtliche Zeitungen, die seit Ende des 18. Jahrhunderts im Land erschienen sind. Die Bibliothek als "dritter Raum": Eine große Handschriftensammlung von Theodor Storm und Klaus Groth bis Franziska von Reventlow ist seither zusammengekommen, 230 000 Bücher, 7000 Karten, rund 30 000 Bildzeugnisse von Gemälden bis Fotos, eine ansehnliche Münzsammlung und zahlreiche Artefakte. Material auch für etliche landeskundliche Ausstellungen, das Lätzels Vorgänger Jens Ahlers als Direktor bis Mai 2019 in umtriebiger Ausstellungstätigkeit immer wieder präsentiert hat. Auch Lätzel und seine Stellvertreterin Berit Johannsen haben die Außenwirkung der Landesbibliothek im Blick. „Aat Vos stellt nicht das Medium in den Vordergrund, sondern das Publikum“, sagt Berit Johannsen, die den Schwerpunkt Digitalisierung betreut. „Es geht darum, analoge Sammlungsstücke und digitale Zugänglichkeit zu verbinden.“ Das ist nicht die einzige Aufgabe, die beide zu bewältigen haben: Das „Haus der schleswig-holsteinischen Geschichte“ ist seit langem Wunschprojekt der Landesregierung, soll aber nun aus Kostengründen als hauptsächlich digitale Version realisiert werden. Dazu kommt die Funktion der Landesbibliothek als Knotenpunkt für die Digitalisierung der Kulturstätten im Land. Corona hat die Digitalisierung beschleunigt: „Wir leisten Hilfestellung zum digitalen Wandel“, so Berit Johannsen. Und auch, wenn die räumliche Umgestaltung des Hauses noch auf sich warten lässt – in der Veränderung stecken Johannsen, Lätzel und ihr Team längst mitten drin. „Die Pandemie hat die Digitalisierung rasant beschleunigt“, sagt Lätzel und verweist etwa auf die Mittel, die das Land dafür im vergangenen Sommer außerplanmäßig bereitgestellt hat und die vom Schleswig-Holstein Musik Festival bis zum Literaturhaus gerade unter die Institutionen gebracht wurden. Die Landesbibliothek hat da selbst Nachholbedarf. Zwar hat auch schon Jens Ahlers die Digitalisierung der Bestände vorangetrieben, was aber fehlt, ist der elektronische Katalog, der Nutzern rasche Suche und Zugriff ermöglicht. Immerhin ging im Sommer das zwischen 1971 und 2011 im Druck in 13 Bänden erschienene, biografische Lexikon online. Storms "Schimmelreiter" analog und digital: „Die Handschriften, die ja fragile Gegenstände und analog kaum zugänglich sind, werden über den digitalen Zugagn im Netz wieder neu sichtbar“, erklärt Berit Johannsen. Und auch wenn das neue Konzept einen festen Ausstellungsraum nicht mehr vorsieht; eine Präsentation einzelner Objekte kann sie sich durchaus vorstellen: „Da kann man vielleicht bei uns im Haus die Handschrift von Theodor Storms Schimmelreiter in einer Vitrine anschauen – und dann am Terminal oder auch zu Hause am Computer digital darin blättern.“ Beispiele dafür, wie das hybride Modell funktionieren kann. „Wir brauchen eine gute Kombi von analog und digital“, bestätigt Lätzel. Dabei geht es eher um die Erweiterung als die Verlagerung der Möglichkeiten. Und wie Berit Johannsen sagt, auch darum, „neue Bezüge zwischen landesgeschichtlichem Erbe und Zukunft herzustellen“. Noch aber ist man mit Sichten, Ordnen, Aussortieren und Erfassen der Bestände beschäftigt, die teils auch an verschiedenen Außenstellen lagern. Gerade wurden dafür zwei Inventarisierungsstellen neu besetzt. Und die einstige Ausstellungshalle im Erdgeschoss ist vorübergehend zum Lager mutiert, in dem Gemälde, Uniformen in neuen säurefreien Kartons und vom Papierfischchen bedrohte Landkarten auf die neue Aufbewahrung warten.