Marion Poschmann in Kiel: Von Landschaften und Lyrik

Ihre Notizen hebt sie alle auf, immer. Für Marion Poschmann gehört das zu ihrer Art zu arbeiten. „Manchmal gibt es eine Zeile, die hat einem gut gefallen, aber man bringt sie noch nicht unter“, sagt die Schriftstellerin, „und dann kann es passieren, dass es Jahre später einen Text gibt, und plötzlich ist diese Zeile das Ecksteinchen, mit dem sich alles rundet.“ Die vielfach preisgekrönte Schriftstellerin ist in diesem Jahr Liliencron-Dozentin für Lyrik in Kiel, und es gibt viele solche Zeilen, die aus ihren Gedichten dann auch wieder hervorstechen und nachhallen. Wenn „der kahle Wald eisern und borstig“ (Sibirische Elegien) steht, die „Polarnacht aus Zellophan“ ist und Schafe aussehen „wie Schönwetterwolken“. Man kann das als moderne Naturlyrik lesen, oder einfach den radikal anderen Ton erspüren. Dichten ist wie Traumarbeit: „Der Schreibprozess bleibt ja letztlich ein Geheimnis“, sinniert die Schriftstellerin im Gespräch vor der Eröffnungslesung im Literaturhaus, „aber wenn ich es anschaulich machen soll, dann verhält es sich ähnlich wie mit der Traumarbeit. Man hat Eindrücke und es gibt bestimmte Mechanismen nach Freud, die Bilder entstehen lassen. Durch Verdichtung und Verschiebung. Im Grunde sind das literarische Verfahren, die sich beim Dichten wiederholen.“ Poschmanns Gedichte entstehen aus Alltag, Literatur und Kunstgeschichte; aus der genauen Beobachtung entwirft sie eigene Räume und Landschaften – künstliche und geliehene, wie im gleichnamigen, 2013 erschienenen Gedichtband. Die Versatzstücke dafür findet sie auch auf ihren Studienreisen weltweit. Sibirien, Russland, Japan. „Ich taute Grönland auf mit meinem Blick, ich schmolz die Gletscher, während ich sie voll der Andacht überflog …“ So verbinden sich Landschaft und Subjekt im ersten Gedicht des neuen Bandes Nimbus, der am 17. Februar erscheint. Aber manchmal kann es Jahre dauern, bis sich ein Ausdruck für das Gesehene oder einen Einfall einstellt. Für Marion Poschmann sind Bücher Mitbewohner: Das Lesen gehört für Marion Poschmann außerdem zum Dichten dazu; die Bücher in ihrer Bibliothek hat sie „eine Art Mitbewohner“ genannt, die den geistigen Raum schaffen, in dem sie arbeitet. Gedichte zu schreiben, ohne zu lesen, ohne eine Tradition, an die sich anknüpfen ließe, erscheint ihr schwierig. Mit Detlev von Liliencron (1844-1909), dem Kieler Dichter von Trutz, blanke Hans oder Pidder Lyng, hat sich die Schriftstellerin allerdings erst jetzt näher beschäftigt und entdeckt: „Liliencron ist mit dem Gebrauch der Alltagssprache ja praktisch der Pionier des freien Verses in Deutschland. Das war mir vorher nicht bewusst.“ Dann fallen ihr noch die Abendlieder ein, die ihr die Mutter zum Einschlafen vorgesungen hat: „Da hat man schon alles, was Lyrik ausmacht: den Rhythmus, die Struktur, das Liedhafte, den Reim.“ Identität ist etwas Flüssiges: Im Streifzug durch ihre Gedichte, die in bald fünf Bänden vorliegen, wird das Versponnene spürbar ebenso wie das Gespür für Bruchstücke und Einzelheiten. Da prallen Begriffe aufeinander wie unterschiedliche Materialien, erscheint die Welt rätselhaft fragmentiert. „Die Frage, die ich mir stelle, ist: Was ist dieses Ich? Was macht es aus?“, sagt die 50-Jährige. „Das Ich ist eine seltsame Leerstelle, die man nur durch Äußeres füllen kann. Identität ist etwas Flüssiges.“ Oder, wie sie es in ihrem Erstling Verschlossene Kammern 2002 beschrieb: „Zersprühende Wunderkerzen – so sind wir und brennen die Jahre ab.“ Dabei pendelt Marion Poschmann zwischen Prosa und Lyrik, mit ihrem vierten Roman Die Kieferninseln stand sie 2017 auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis. Und oft finden sich die Themen in beiden Formen verhandelt wieder – so wie der japanische Dichter Basho im 17. Jahrhundert, dem sie im Lyrikband Geliehene Landschaften (2013) nachspürte, bevor sie ihn in Die Kieferninseln wieder aufgriff. Erst eher elegisch, später ironisch spielerisch. So spiegeln sich die Texte, eröffnen neue Resonanzräume. Entscheidend ist das gedruckte Buch: Beim Zuhören entstehen Bilder, dabei findet sie es eigentlich gar nicht nötig, die Gedichte vorzulesen: „Das Entscheidende ist für mich das gedruckte Buch.“ Und der lesende Autor erscheint ihr eher „als Störfaktor“ im intimen Verhältnis zwischen Leser und Text. Ohnehin hat Marion Poschmann gar nicht die Absicht, ihre Arbeit bis ins Letzte aufzudröseln. Ein Rest Rätsel gehört für sie dazu. 29. Januar, 19 Uhr, Literaturhaus. Podiumsgespräch Marion Poschmann mit Charlotte Warsen, Berlin, und Arne Rautenberg, Kiel. www.literaturhaus-sh.de

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