Premiere im Schauspielhaus: Kafkas „Schloss“ im Bilderrausch

Sie schrauben und feilen und schweißen und klopfen. In einem irrwitzig treibenden Rhythmus, der sich unmittelbar fortsetzt in ohrenbetäubendes Klanggetöse. Konzert eines surrealen Industriealltags, metallisch, hart und unerbittlich. Für diesen surrealen Produktionsprozess hat Bühnenbildnerin Zita Schnabel ein verschlungenes Metallgerüst ins Schauspielhaus Hamburg gebaut. Eine Spirale aus Streben und Leitern, hoch aufragend bis in den Bühnenhimmel. Ein geschlossenes System zwischen Turmbau zu Babel, M.C. Eschers irren Treppen, Großbaustelle und Metropolis, in dem die Menschen steigen, klettern, rutschen, fallen. „Bei uns herrscht ständige Entwicklung“, sagt mal einer. "Das Schloss": Wie Beutetiere im Spinnennetz : Das Schloss, das der Landvermesser Josef K. in einer tristen Winternacht sucht – in Viktor Bodos Inszenierung von Kafkas 1922 entstandenem Roman steckt er, trotz aller mechanischen Abweisung, schon bei der Ankunft mittendrin. Das Dorf und seine Bewohner, die bei Kafka in weiter Ferne so nah davor leben, hat der Regisseur gleich mit hinein vernetzt, wie Beutetiere im Spinnennetz. Sie haben sich eingerichtet in Kellerlöchern und Abseiten. Barnabas und seine Nähe oder Sex suchende Schwester, die strenge Wirtin, die Lina Beckmann mit minimalistischem Einsatz zu bedrohlich komischer Übergröße aufplustert, und die junge Frieda (naiv flexibel: Gala Othero Winter), die ihre Unschuld auch schon längst verloren hat. Der Lehrer (spießbürgerlich monströs: Yorck Dippe), der auch ohne Schüler seinen Unterricht macht und die Landvermesser-Gehilfen, die sich kabbeln wie Wladimir und Estragon beim Warten auf Godot. Spielfreudiges Ensemble im Schauspielhaus Hamburg: „Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg“, sagt heiter der Mann auf der Reinigungsmaschine, die hier mehrfach vorbeizirkuliert, als gelte es, das trotz allem aufflammende Leben wegzubügeln; und Michael Weber ist nicht nur in diesem Auftritt mit seinem trocken zynischen Humor der wahre Endspieler unter all den Kafka- und Beckett-Schatten. Bodo spannt sie mit seinem insgesamt stark aufspielenden, locker durch die Rollen wechselnden Ensemble in ein ausgeklügeltes Albtraumballett, in dem es mal auf- und meistens abwärts geht. Der Landvermesser, den keiner braucht, ist in diesem Getriebe das überzählige Rädchen; und Carlo Ljubek lässt ihn schon bei der Ankunft ziemlich alt aussehen. Immerhin hat er da noch die Kraft, die bizarren Verbote und Anweisungen mit lässiger Vernunftbegabung zu kontern. Bevor er sich wie die anderen im Labyrinth der sinnleeren Prozesse verläuft. Denn über jedem der Stellvertreter und Sekretäre, bei denen K. landet, sitzt irgendwo noch einer, der wirklich das Sagen hat. Von Geisterbahn bis Schattenspiel: Die Bürokratiemechanik schnurrt hier mit der absurden Komik des Stummfilms vorüber. Und die nostalgische Konsequenz, mit der Bodo die bizarre Vernetzung von Amt und Leben bis ins Programmheft hinein inszeniert, hat ihren unbestreitbaren Zauber. „Ihre Geschichte entwickelt sich überhaupt nicht weiter“, muss sich Josef K. aber auch irgendwann sagen lassen. Und das gilt auch für Bodo, der dann Geisterbahn und Slapstick herbeizaubert, eine Schaltwand zur irren Drummachine umfunktioniert und Schattenspiele, poetisch wie die von William Kentridge, über die Bühne flimmern lässt. Man sieht die Vergeblichkeit und das Ausgeliefertsein der menschlichen Existenz. Man denkt unweigerlich an Fremdenhass und die Morde in Hanau, derer Ensemble und Publikum nach dem Applaus gedenken. Aber in seiner Hermetik kommt die Inszenierung stets vor allem bei sich selbst an. Und das Doppelbödige, bei dem im Bedrohlichen immer auch das Absurde steckt und umgekehrt - das zeigen das formidable Quartett und die zwischen Swing und Geräusch taumelnde Musik von Klaus Heydenhaber viel eher, als dass es auf der Bühne sichtbar wird. Weitere Infos: Schauspielhaus Hamburg, Kirchenallee. 25. Februar, 6., 21., 29. März. Kartentel. 040/248713 Weitere Nachrichten aus der Kultur finden Sie hier.

Schauspielhaus Hamburg - Kafkas „Schloss“ im Bilderrausch