Schauspieler, Konzertgeiger und Maler: Armin Mueller-Stahl wird heute 90

Er war ein KZ-Häftling in „Nackt unter Wölfen“, Kämpfer der internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg („Fünf Patronenhülsen“) und spielte den Exil-Schriftsteller Thomas Mann – Armin Mueller-Stahl hat in seinen Rollen die Geschichte des 20. Jahrhunderts wie kaum ein anderer Schauspieler ausgelotet. Und trotz aller Ernsthaftigkeit – er bleibt „im Herzen Gaukler“, wie eine neue Biografie über sein Leben vor der Kamera heißt. Am heutigen Donnerstag, 17. Dezember, wird Mueller-Stahl, der einst Konzertgeiger werden wollte und sich heute vor allem dem Zeichnen und der Malerei widmet, 90 Jahre alt. Seit 2010 Schleswig-Holsteins Ehrenbürger: Zu den Glückswünschen kamen gestern auch Genesungswünsche. Vor wenigen Tagen sei der Allroundkünstler, seit zehn Jahren Ehrenbürger Schleswig-Holsteins mit Herzproblemen ins Krankenhaus gekommen, heißt es in Medienberichten. Nein, mit Corona habe das nichts zu tun. Aber die Pandemie hat in diesem Jahr auch sein Leben eingeschränkt: Lesungen wurden gestrichen, auch Interviews wollte er zu Hause in Sierksdorf an der Lübecker Bucht nicht geben. Seit fast 40 Jahren ist er mit der Hautärztin Gabriele Scholz verheiratet. Lesen Sie auch: Malen im Fluge - Ausstellung zum 85. Geburtstag Armin Mueller-Stahls in Eutin Zwischen Sierksdorf und Kalifornien: Jahrelang war Mueller-Stahl unterwegs zwischen Pacific Palisades bei Los Angeles und Deutschland. Denn da war ja auch Hollywood, wo er über Nebenrollen zu einem gefragten Charakterdarsteller avancierte. Mueller-Stahl spielte in Filmen wie „Bittere Ernte“ und „Oberst Redl“ mit und in Jim Jarmuschs Kultfilm „Night on Earth“ einen New Yorker Taxifahrer. 1996 wurde er für seine Rolle als Vater in „Shine“ für den Oscar als bester Nebendarsteller nominiert. "Schauspielerei war die einfachste Art, Brötchen zu verdienen": Dabei hatte der in Tilsit geborene Sohn eines ostpreußischen Bankangestellten zunächst Musikwissenschaft studiert und ließ sich als Violinist ausbilden. Irgendwann ging ihm das Üben auf die Nerven, er wechselte zur Schauspielerei – „die einfachste Art, Brötchen zu verdienen“, wie er fand. Dass er wegen angeblich mangelnden Talents von der Schauspielschule flog, störte für das Fortkommen nicht weiter. Er schaffte es auch ohne Abschluss. Fast 25 Jahre war Mueller-Stahl beim Berliner Theater am Schiffbauerdamm und später bei der Volksbühne verpflichtet. Mit Filmen wie „Königskinder“ (1962), „Nackt unter Wölfen“ (1963) und „Tödlicher Irrtum“ (1970) wurde er zum Publikumsliebling – was allerdings nicht die SED-Oberen einschloss. "Ich wollte mich nicht wegschleichen": Politisch blieb Mueller-Stahl eher zurückhaltend. Vor dem Mauerbau lebte er in West-Berlin, blieb dann im Osten, durfte ausreisen – und kehrte immer wieder zurück. „Ich wollte mich nicht wegschleichen aus diesem Land“, sagt er. Doch arrangieren mit dem System wollte er sich auch nicht. Nachdem er es sich zuvor schon mit Stasi-Minister Erich Mielke verscherzt hatte, bekam er für drei Jahre kaum mehr Rollen, nachdem er 1976 die Resolution gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann unterschreibt. Auch seine Chanson-Texte fielen der Zensur zum Opfer. Seine Übersiedlung nach West-Berlin 1980 musste er mit einem Brief an Erich Honecker buchstäblich erbetteln. „Ich bitte um nichts, außer dass ich behandelt werde wie jemand, der diesem Land auch genützt hat.“ Als Thomas Mann mehrfach ausgezeichnet: Rainer Werner Fassbinder öffnete in dem Film „Lola“ den Eintritt in eine zweite Karriere. Mueller-Stahl arbeitete mit Regisseuren wie Bernhard Wicki, Axel Corti oder Alexander Kluge zusammen, als ungarischer Emigrant in Costa-Gavras’ „Music Box“, als polnisch-jüdischer Großvater in „Avalon“ oder als Ghetto-Arzt im Remake von „Jakob der Lügner“. Für seinen Auftritt in Heinrich Breloers TV-Dreiteiler „Die Manns“ (2001) wurde er mehrfach ausgezeichnet. In der Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm verleiht er Mann seinen Körper und seine Stimme, wie er es danach in einem Interview formulierte. Julia Hümme hat als Leiterin des Ostholstein-Museums ins Eutin schon mehrfach Kunst von Armin Mueller-Stahl ausgestellt: „Ich persönlich habe Armin Mueller-Stahl in den vergangenen Jahren als einen warmherzigen, freundlich-zugewandten, Jung und Alt gegenüber aufgeschlossenen Mann kennengelernt, der bei allem Rummel um seine Person, bei allem Erfolg in der Schauspielerei, der Musik, der Literatur und der Kunst bescheiden und menschlich geblieben ist, was sich auch in seinen Bildern widerspiegelt. Seine Arbeiten sind in besonderem Maße von seinem persönlichen Empfinden, seinen Erlebnissen und Erfahrungen, seiner scharfen Beobachtungsgabe und seinen vielseitigen Interessen geprägt. Dabei lassen nicht wenige Bilder zum einen deutliche Bezüge zur Biografie des Malers erkennen, zum anderen wecken sie Assoziationen zu aktuellen gesellschaftlichen und weltpolitischen Geschehnissen, so dass manche Bilder eine besondere Brisanz und Aktualität bekommen.“ "Die Fähigkeit, dem Alltag zu entfliehen, ist dem alten Gaukler bis heute eigen": Vor rund 15 Jahren entschloss sich Mueller-Stahl, seine Filmlaufbahn zu beenden. Er habe Hollywood und die Schauspielerei ausgekostet, das Kapitel sei abgeschlossen. In der Kunst, so schreibt der Autor Frank-Burkhard Habel in der lesenswerten Filmbiografie „Im Herzen Gaukler“, habe Mueller-Stahl alles Schwere hinter sich gelassen. „Diese Fähigkeit, dem Alltag zu entfliehen, ist dem alten Gaukler bis heute eigen.“ Mehrfach war er in diesem Sinne auch mit Ausstellungen im Eutiner Ostholstein-Museum vertreten. Ministerpräsident Daniel Günther gratulierte gestern mit den Worten, „vor Jahrzehnten hat Sie Ihr bewegtes Leben zu uns nach Schleswig-Holstein geführt, von wo aus Sie nicht nur Ihre internationale Karriere als Schauspieler, sondern auch Ihre herausragenden Talente als bildender Künstler, Schriftsteller und Musiker pflegen“. Und wünschte dem Ehrenbürger „alles erdenklich Gute“. Literatur: Frank-Burkhard Habel: Armin Mueller-Stahl, Im Herzen Gaukler. Ein Leben vor der Kamera, Berlin 2020, Verlag Neues Leben, 290 Seiten, 20 Euro