VAM zu Corona: Die Szene der freien Musiker steht weiter vor dem Nichts

Mit einer „Corona“ wurde in frühen Notenhandschriften eine Generalpause bezeichnet, der absolute Stillstand, das erschrockene Nichts. Jetzt hat die gleichnamige Pandemie-Krise die Szene der freien Künstler besonders hart getroffen, vor allem auch jene Musiker, die mit ihren stilkundigen Interpretationen seit Jahrzehnten unter anderem viele Aufführungen von Kantaten, Oratorien und Messen mitgetragen haben. Corona: VAM-Vorsitzender Dobruschkin schlägt weiter Alarm: Der in Kiel lebende und unterrichtende Geiger und Bratscher Ilja Dobruschkin, der 1976 in Moskau geboren wurde und später an der Musikhochschule Lübeck studierte, steckt als Landesvorsitzender und Beisitzer im Bundesvorstand der Vereinigung Alte Musik besonders tief im Problem seiner Kollegen. Die 2012 gegründete VAM ist die einzige bundesweite Berufsvertretung für die oft spezialisierten Künstler im Bereich von Historischer Aufführungspraxis. Corona: Kulturstaatsministerin löst das zentrale Problem nicht: Obwohl sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters um Hilfen und Projektförderungen bemüht, ist das zentrale Problem bislang von ihr und den meisten Landesregierungen nicht gelöst: Obwohl ihnen durch die Versammlungsverbote zu hundert Prozent ihre Auftrittsmöglichkeiten genommen wurden, erhalten die freien Musiker anders als andere Solo-Selbstständige keine Soforthilfe, weil sie naturgemäß nur Lebenshaltungskosten, aber nun mal keine „Betriebskosten“ wie Studiomieten vorzuweisen haben. Corona: Alleingänge einzelner Bundesländer, Soforthilfe Landeskulturverband: Immerhin hat zum Beispiel Bayern nachgesteuert und 1000 Euro auch in Anrechnung der notwendigen Lebenshaltung genehmigt. Der Landeskulturverband in Rendsburg ermöglicht mit finanzieller Rückendeckung von der schleswig-holsteinischen Landesregierung jetzt immerhin eine zweite Ausschüttungsrunde von jeweils 500 Euro Soforthilfe. Corona: Ministerien bremsen politischen Willen: „Ich habe schon das Gefühl, dass sich innerhalb der politischen Fraktionen vieles bewegt und auch wir in Schleswig-Holstein Zuspruch erhalten“, so Ilja Dobruschkin, „allerdings wird dann aber auf Regierungsebene massiv gebremst.“ Und aus den Ministerien gebe es trotz mehrfacher Anfragen wenige bis gar keine Reaktionen. Oder solche, wie den „heißen“ Tipp aus dem Wirtschaftsministerium, einen anderen Beruf zu suchen. „Eine Kollegin hat das sogar probiert. Aber sie war dann sofort mit dem fatalen Signal von der Künstlersozialkasse konfrontiert, die den sofortigen Rauswurf aus der Absicherung ankündigte.“ Corona: Bundesweit circa 20.000 freie Musiker betroffen: Während bundesweit knapp 10.000 Orchestermusiker durch feste Verträge bei Theatern und Rundfunkanstalten sozial abgesichert sind, rechnet man im Abgleich von Daten des Musikinformationszentrums und der Künstlersozialkasse mit etwa doppelt so vielen freiberuflichen Profimusikern, die derzeit keinerlei Honorar mehr erhalten. „Sie können sich vorstellen, was das für eine Familie mit vier Kindern bedeutet, deren Eltern mit Gambe und Laute ausschließlich in der freien Musikszene ihr Geld verdient haben ...“ Allianz der freien Künste als Dachverband: Die VAM meldet sich in der „ Allianz der freien Künste “ zu Wort, wo beispielsweise auch der „Verband freier Ensembles und Orchester“ die Interessen etwa eines ebenfalls gefährdeten Spitzenkollektivs wie des Freiburger Barockorchesters vertritt. Grundsätzliche Defizite im Umgang mit der freien Szene: Dobruschkin sieht durch die Corona-Krise grundsätzliche Defizite der freien Musikszene offengelegt. Während an den Theatern der Faktor von 80 Prozent Personalkosten durch Politik und Gesellschaft anerkannt und abgedeckt sei, gelte das für die an sich genauso strukturierte, aber nur annähernd halb so gut verdienende freie Szene nicht. Niedrige Konzerthonorare für freie Musiker: „Wegen der niedrigen Konzerthonorare, die meist nur zwei Tagessätze bieten, aber etwa einen Anreisetag und Einstudieren völlig unberücksichtigt lassen, üben wir genauso hochqualifiziert ausgebildeten Profis de facto Honorarverzicht als eine Art Subvention, damit die Kultur überhaupt stattfinden kann.“ Mit dem musikpädagogischen Unterrichten werde das leidlich querfinanziert. „Unsere Spezialität ist Selbstausbeutung.“ Corona: Solidarität der Kirchen gefragt: Und wenn nun in der aktuellen Krise beispielsweise die Solidarität der Kirchen gefragt sei, deren Kirchenmusik wesentlich zur Attraktion der Institutionen beigetragen hat, werde mit dem Taschenrechner gefeilscht – in Bezug auf entfallene Honorare, die manchmal für freischaffende Musiker nicht mal eine dreistellige Tagesgage ergeben hätten. Besonders problematische Honorarstruktur im Norden: In Schleswig-Holstein beklagt Dobruschkin eine besonders „kaputte Honorarstruktur“. Es gebe positive Gegenbeispiele, aber zu oft zahlen die Kirchen im Norden Honorare, „die im deutschen Vergleich gar nicht gehen“. Ungewollt verstärken diese Tendenz die von der historischen Aufführungspraxis begeisterten Orchestermusiker aus Kiel, Lübeck oder Flensburg. Dobruschkin: „Da muss man als freischaffender Musiker viel erklären ... Auf der anderen Seite ist es wirklich toll, wie solidarisch sich die festangestellten Kollegen jetzt zeigen.“ Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum fordert Künstlerhilfe: Gerne verweist der VAM-Vorsitzende auf einen aktuellen offenen Brief des ehemaligen Bundesinnenministers Gerhart Baum, der gegenüber der Kulturstaatsministerin darin sein Unverständnis darüber zum Ausdruck bringt, warum ausgerechnet sie sich einer Künstlerhilfe verweigere: „Ihr ständiger Hinweis auf ein Sozialpaket, also auf das Arbeitslosengeld, kann nicht akzeptiert werden. Es wird der besonderen Situation der Soloselbständigen nicht gerecht.“ Die Kulturministerinnen der Länder sähen das auch so. Corona: Ausgleich von Umsatzeinbrüchen notwendig: Zum Ausgleich von Umsatzeinbrüchen sollte vielmehr ein pauschaler Betrag gewährleistet werden, die Künstlerhilfe an den Lebenshaltungskosten anknüpfen. Der VAM legte vor und fordert nun im Sinne einer Lohnfortzahlung Gleichstellung mit festangestellten Musikern, denn auch die Freie Musikszene sei Teil der Daseinsvorsorge. Lesen Sie auch: Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein So viele bestätigte Corona-Fälle gibt es in Schleswig-Holstein Neue Lockerungen ab 4. Mai in Schleswig-Holstein Start der Maskenpflicht: Das sind die Probleme der Schleswig-Holsteiner Masken nähen: Welcher Stoff ist am besten geeignet? 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Corona / Freie Musiker - Gefährliche Generalpause