Zu zweit gegen das Alleinsein anspielen

Allerdings, auch hier geht es - wie vor über 2000 Jahren - im Kern um Menschlichkeit und Liebe. Und das alles auch noch auf Plattdeutsch? Ja, die Niederdeutsche Bühne Kiel hat sich mit Regisseur Christoph Munk und den Darstellern Inge Deike und Horst Zahn an das Zweipersonenstück herangewagt und das Werk in der niederdeutschen Fassung von Hartmut Cyriack aufgeführt. Sonntag war im Theater am Wilhelmplatz viel umjubelte Premiere. Heiligabend kurz nach Ladenschluss. Ein Kaufhaus, zwei alte Menschen - eine Putzfrau und ein Nachtportier - überwinden Einsamkeit und riskieren die Liebe. Zunächst ist Maria ganz allein dort, wo gerade noch die letzten Festkäufe erledigt wurden. Nur noch sie und eine Flasche Weinbrand. Josef sieht nach dem Rechten. Die beiden erzählen ihre Lebensgeschichten, monologisierend, aneinander vorbei. Aber dann kommen sie sich fast kindlich näher - und beginnen zu tanzen... Im Kern dieses Theaterstücks will der Dramatiker Peter Turrini ein Trauma der späten Siebziger einfangen: Wachstum, Werbung, Konsum, Leistung, Verdrängung und Vereinsamung als logische Kette des Fortschrittes. Ein hoher sozialkritischer Anspruch. Man darf den Niederdeutschen zum Mut gratulieren, anstelle der vorweihnachtlichen Kuschelromantik mit solch harter Kost zu kommen. Denn davon haben Inge Deike in der Rolle der Putzfrau Maria und Horst Zahn als Wachmann Josef überreichlich im wortwörtlichen Gepäck. Sowohl in der Handtasche von Maria, als auch in der Aktentasche von Josef finden sich Fotos, Briefe und Papiere aller Art, die bewegende Geschichten und bewegte Lebensgeschichte der Beiden dokumentieren. Auf den ersten Blick wirkt Maria unscheinbar, von der harten Arbeit und den Jahren gezeichnet sowie von der herrschsüchtigen Schwiegertochter und dem Sohn vernachlässigt. Sie nimmt gern mal einen "lütten Schluck gegen dat Alleinsien". Inge Deike verleiht dieser grauen Maus mehr und mehr Charakter, lässt die Vita der ehemaligen Varietkünstlerin von Minute zu Minute lebhafter werden. Inge Deike, die das Publikum ja wegen der herrlich schluderig-schnoddrigen Art als Kieler Version von Heidi Kabel ins Herz geschlossen hat, bleibt diesmal konstant feinsinnig. Die Verwandlung tritt unaufdringlich mit dem Umkleidevorgang der Protagonisten ein, ein bewährtes Stilmittel, das Regisseur Munk bei der eher spärlichen Kulisse und der geringen Aktion auf der Bühne geschickt einsetzt. Marias Gegenüber, Josef, ein altgewordener Sozialist ohne Familie mit allerlei hehren politischen Idealen, verfolgt, eingesperrt und dank seines schauspielerischen Talents dem Nazi-Terror entkommen, lebt irgendwie immer im Gestern und in seiner Rolle, die ihm das Leben gerettet hat. Mit Horst Zahn hat Regisseur Munk hier ebenfalls die Idealbesetzung gefunden. Einfach brillant, wie Zahn die Gebrochenheit dieses Mannes mit seinen einerseits weinerlichen Zügen und andererseits trotzig kämpferischen Elementen verinnerlicht hat. Beide Rollen hinterlassen dank der darstellerischen Bandbreite der Akteure tiefsten Eindruck. Das ernste Thema bringt es mit sich, dass bei so manch wohl gesetzter Pointe das Lachen im Halse stecken bleibt. Nein, Josef un Maria ist kein Weihnachtsmärchen. Dafür müsste die Erzählung fabelhafter und wunderbarer sein. Diese Geschichte hat zwar ein irgendwie glückliches Ende, gehört dennoch in die Kategorie Drama, dessen Eindrücke spätestens beim nächsten Weihnachtseinkauf wieder hochkommen und nachdenklich stimmen. Aufführungstermine am 4., 8., 9., 12., 14., 17. und 21. Dezember, jew. 19 Uhr. Karten: 0431 / 901 901

"Josef un Maria": Die Niederdeutsche Bühne Kiel spielt Turrinis Erzählung - Zu zweit gegen das Alleinsein anspielen