Es hat nicht lange gedauert. Etwa eine Stunde nachdem der französische Staatsanwalt Brice Robin am Mittag des 26. März den Nachnamen des Ko-Piloten von Germanwingsflug 9525 in einer live übertragenen Pressekonferenz buchstabiert hatte, baute das erste Fernsehteam vor einem unscheinbaren Einfamilienhaus in dem Westerwald-Städtchen Montabaur sein Stativ auf.
Binnen Minuten folgen ihnen so viele nach, dass die Polizei die Straße für den Verkehr sperrt. Bis weit in die Nacht stehen Journalisten aus ganz Europa mit ihren Übertragungswagen vor dem Haus mit den heruntergelassenen Jalousien, in dem nichts geschieht. "Keine Ahnung, was wir hier noch sollen", raunt ein Kameramann spät am Abend vor sich hin. "Egal", antwortet sein Kollege.
Suche nach Antworten
Was klar ist: Dort, im ersten Stock des Hauses, ist er aufgewachsen – Andreas L., der allein am Steuer des Airbus A 320 saß, als dieser zwei Tage zuvor auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf mit 150 Menschen an Bord an einer Bergwand der französischen Alpen zerschellte. Laut Staatsanwaltschaft hat sich der 27-jährige Copilot im Cockpit eingeschlossen und das Flugzeug dann absichtlich abstürzen lassen.
Warum? Das war die Frage, die an diesem Tag Hunderte Journalisten nach Montabaur trieb. Dort trafen sie dann auf Bürger, die darauf genauso wenige Antworten hatten wie sie selbst – zumal L. ohnehin schon seit Jahren nur noch gelegentlich zu Besuch war und die meisten ihn kaum kannten.
Wer in jenen Tagen als Journalist in Montabaur unterwegs war, bekam offene Ablehnung zu spüren. "Journalisten?", fragte die Mitarbeiterin in L.s Fitnessstudio. "Raus!" Montabaur war im Belagerungszustand – und die Montabaurer fühlten sich bedrängt.
"Übelste Erfahrungen" mit Journalisten
Zu den wenigen, die geduldig Fragen beantworteten, gehörten die Mitglieder des Segelflugvereins. Ein engagierter, ruhiger Schüler sei er gewesen, sagten sie immer wieder. Dafür strömten Reporter aus aller Welt bis in die Nacht zu dem Flugplatz am Stadtrand. Wie viele Interviews er gegeben hat, weiß der zweite Vorsitzende Herbert Höhn nicht mehr. Aber "übelste Erfahrungen" hätten sie gemacht. Genauer erklären mag er das nicht mehr. Er klingt noch immer genervt.
So wurde Montabaur zum Symbol für das gestörte Verhältnis gegenüber "den Medien". Durfte der Name des Ko-Piloten genannt werden? Durfte er als "Amokpilot" bezeichnet werden? Das Unwohlsein war greifbar in Montabaur. Auch gegenüber jenen, die einfach taten, was Journalisten tun sollen: Fragen stellen.
Andreas L. war psychisch krank
Antworten jedoch gab es erst später, woanders. Andreas L. war psychisch krank. Er fürchtete um den Verlust seiner Sehkraft. Er war bei Dutzenden Ärzten in Behandlung und für den Flugtag krankgeschrieben. "Er war nicht mehr in der Lage, ein Flugzeug zu fliegen", erklärte Robin.
Die Angehörigen der Opfer streiten mit der Lufthansa bis heute um eine angemessene Entschädigung. In Montabaur ist wieder Ruhe eingekehrt. Die Eltern von Andreas L. wohnen wieder in ihrem Haus. Äußerlich ist in Montabaur vieles wieder wie früher.
Das hat uns 2015 bewegt |