Agenda 2025: Bibliotheken fordern 100 Millionen Euro

Öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken in Schleswig-Holstein brauchen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Zeiten der Digitalisierung und sich verändernder Nutzergewohnheiten und -bedürfnisse mehr Geld. Wesentlich mehr Geld. "Wir sprechen hier im Land von weit über 100 Millionen Euro bis 2025", erklärte Hans-Joachim Grote am "Tag der Bibliotheken", den 1994 Richard von Weizsäcker begründet hatte. Grote äußerte sich nicht als schleswig-holsteinischer Innenminister, sondern sprach als Vorsitzender sowohl des Landesverbandes Schleswig-Holstein des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv) als auch Vorsitzender des Büchereivereins Schleswig-Holstein, zu der die Büchereizentrale mit Sitzen in Rendsburg und Flensburg gehört. Auf der Prioritätenliste kommunaler Investitionen sind Bibliotheken selten vorn: Und er sprach mit der fast 20-jährigen Erfahrung des Bürgermeisters, dann Oberbürgermeisters von Norderstedt, der er bis 2017 gewesen war. "Als Bürgermeister muss ich mich immer fragen, wofür ich Geld ausgebe, und da rutschen Bibliotheken bisweilen etwas nach hinten." Ein Grund: Die Digitalisierung und ortsunabhängige Verfügbarkeit einer wachsenden Zahl neu hinzugekommener Medien, wie E-Books und E-Paper, lassen Bibliotheken schnell als Institutionen von vorgestern erscheinen. Ein kapitaler Trugschluss - meinten die Bibliotheken-Vertreter, die am Donnerstag in der Zentralbibliothek der Wirtschaftswissenschaften (ZBW) am Düsternbrooker Weg ihre 28 Forderungen enthaltende Agenda 2025 vorstellten. "Wir sind nicht mehr 'Pssst!' - selbstverständlich darf man sich unterhalten.": Trugschluss nicht nur deshalb, weil Bibliotheken längst digitale Angebote vorhalten, sondern wegen ihrer übergeordneten Funktion. "Wir sind Orte der Begegnung. Lernorte. Wir sind unkommerziell und nicht mehr 'Pssst!'", erklärte Dr. Andreas Teichert von der Stadtbücherei Kiel. Selbstverständlich sei es heute möglich, sich in Bibliotheken zu unterhalten. Der Faktor Aufenthaltsqualität müsse bei allen Neubauten und Umzügen von Bibliotheken sowie Renovierungsmaßnahmen bedacht und entsprechende räumliche wie technische Voraussetzungen geplant und bezahlt werden. "Um kostenloses W-LAN kommt man nicht mehr herum, aber es ist längst nicht in jeder Bibliothek realisiert." Teichert, Mitglied der zehnköpfigen Expertengruppe, die die 28 Forderungen der Agenda 2025 erarbeitet hatte, nannte als eine weitere Forderung die Anpassung des Urheberrechts für eine rechtliche Gleichstellung des E-Book-Verleihs mit der Verleihung physischer Medien: "Bibliotheken müssen in die Lage versetzt werden, alle E-Medien beziehen und an unsere Kundinnen und Kundenverleihen zu dürfen - zu vertretbaren Preisen." Multilinguale Medien und Beratung: das Konzept interkulturelle Bibliothek: Die Forderung zum Aufbau einer zentralen Beratungs- und Arbeitsstelle "zur systematischen Förderung einer interkulturellen Bibliotheksarbeit im Land, möglichst unter Einbindung in die Büchereizentrale Schleswig-Holstein", vertrat Dr. Klaus Fahrner, Stadtbücherei Neumünster. Um Migranten Wege zu bahnen in Beruf und Bildung, sei der Auf- und Ausbau von Online-Angeboten mit multilingualen Medien, insbesondere auf dem Gebiet herkunftssprachlicher Zeitschriften und Zeitungen erforderlich. "Ein Smartphone bedienen zu können, bedeutet nicht, digital gut informiert zu sein", so Fahrner. Mittel zur Erhaltung alter Bestände und für eine zentral angesiedelte Restauratorin: Bewahren des kulturellen Erbes, Bewahren der Vielfalt von Zeugnissen unserer Landesgeschichte - auch das sei eine wesentliche Aufgabe der Bibliotheken, sagte Angela Buske, Stadtbibliothek Lübeck. Doch Papierzerfall und Tintenfraß, Mäuse und Insekten, Licht und Feuchtigkeit haben einigen dieser Zeugnisse zugesetzt, darunter Handschriften aus dem 11. Jahrhundert, früheste Druckerzeugnisse aus dem 15. Jahrhundert, historische Karten, Musikalien und Bilddokumente aus mehreren Jahrhunderten. Eine Forderung, anknüpfend an das 2014 begonnene Bestandserhaltungsprogramm des Landes, sei deshalb: "Weiterhin Mittel zur Bestandserhaltung und zur Unterstützung kleiner Bibliotheken im Land durch eine zentral angesiedelte Restauratorin." Nicht alle kleineren Einrichtungen könnten alles leisten, sagte Buske. Wichtig sei deshalb, sich abzustimmen und digitale Bestände zusammenzuführen. Digitalisierung und Open-Access-Transformation: Erhaltung müsse vorangehen, "bevor es Digitalisierung geben kann", betonte Dr. Jens Ahlers, digiCULT-Verband. "Erst das Original sichern, dann das Digitalisat anfertigen - auch das ist eine Maßnahme der Bestandssicherung", erklärt der langjährige Direktor der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Systematisch fortgeführt, könne Digitalisierung "die Zusammenschau aller Bestände aus allen Häusern im Land ermöglichen, damit man noch effektiver arbeiten kann - das ist das Ziel", so Ahlers. Karin Wortmann, ZBW Kiel, und Rainer Horrelt, UB Kiel, vertraten den Bereich Forschung und Lehre und forderten für die wissenschaftlichen Bibliotheken die gesicherte Finanzierung der IT-Kosten für Hard- und Software, ausreichend Mittel für die Open-Access-Transformation sowie finanzielle und räumliche Ressourcen für das Verständnis der Bibliothek als "Dritter Ort". Der "Dritte Ort": die Bibliothek als eine Art Zuhause außerhalb der eigenen vier Wände: Dieser vom US-amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg geprägte Begriff schwebte über allen acht Statements im Pressegespräch. "Erster Ort" meint das Zuhause, "Zweiter Ort" den Arbeitsort und "Dritter Ort" eine Art Zuhause außerhalb der eigenen vier Wände, wo Menschen einander begegnen und miteinander kommunizieren können - über Les- und Hörbares zum Beispiel. "Bibliotheken", sagte dazu Ex-OB Grote, "sind zentrale Treffpunkte, wo Kommunen das Gemeinschaftsleben weiterentwickeln können, zumal Kirchen und Vereine weniger Zulauf haben. Das Wichtigste ist das Zusammenleben von Menschen und das größte Problem der Zukunft wird Vereinsamung sein. Dann aber funktioniert Kommune nicht mehr." Ein Appell an die Betreiber kommunaler Bibliotheken in Schleswig-Holstein: 150 kommunale Bibliotheken gebe es in Schleswig-Holstein, getragen von 150 kommunalen Gebietskörperschaften - bei einer Gesamtzahl von 1106 rechtlich eigenständigen Gemeinden im Land: von der kleinsten, Gröde, mit acht Einwohnern, über die kleinste Stadt Deutschlands, Arnis, mit 280 Einwohnern, bis hin zur Landeshauptstadt Kiel. "Dies ist kein Appell an die Landesregierung, sondern an die Betreiber der kommunalen Bibliotheken. Man kann den Gemeinden und ihren Vertretern nur sagen: Nehmt euch die Potenziale in dieser Agenda zu Herzen. Bibliothek ist nicht nur ein Nice-to-have, sondern einer der wichtigsten Bestandteile zukunftsorientierter Stadtentwicklung." In einer aktuellen Umfrage des dbv gaben 62 Prozent der öffentlichen Bibliotheken an, erforderliche bauliche Maßnahmen wegen fehlender finanzieller Mittel nicht umzusetzen; 45 Prozent gaben an, ihre Infrastruktur nicht im erforderlichen Umfang erneuern zu können. Die Agenda 2025 zur Entwicklung der Bibliotheken in Schleswig-Holstein finden Sie hier. Mehr Nachrichten aus Schleswig-Holstein finden Sie hier.

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