Betroffener berichtet: Wie es ist mit einer Angststörung zu leben

Im ersten Moment weißt du nicht, wie dir geschieht – vor allem, was mit dir geschieht. Für mich begann es am Abend des 1. Weihnachtstags 2016. Meine Frau und ich saßen abends auf dem Sofa und schauten fern. Hinter mir lagen stressige Wochen im Büro, vor mir entspannte Tage zwischen den Jahren. Heute weiß ich es besser, aber damals kamen die Symptome für mich aus dem Nichts. Plötzlich dieses unangenehme Gefühl im Brustkorb. Eine Art Beklommenheit, ein Druck – ein Gefühl innerer Unruhe und Anspannung, das sich innerhalb weniger Momente brenzlig-kribbelig in mir ausbreitete. Ich spürte nur, wie die Hände feucht wurden, das Herz schneller und schneller schlug. Was stimmt nicht mit dir? Der Verstand suchte nach Erklärungen und fand nichts – außer Angst. Angst vor der Ohnmacht, keine Antwort zu finden. Angst vor der Situation, in der ich mich schlagartig gefangen fühlte. Angst vor dem, was passiert. Ich erinnere mich noch, dass ich aufsprang und voller Panik war, ob ich jetzt einen Infarkt bekommen würde oder den Verstand verliere. Beide Szenarien traten nicht ein. Aber ich hatte mein Trigger-Monster gefunden: Was stimmt nicht mit Dir? Ist alles okay mit Dir? Und wenn nicht? Unaufhörlich kreisten die Fragen in meinem Kopf. Tagelang, nächtelang, wochenlang. Googeln machte alles schlimmer: Meine Hausärztin schrieb mich krank. „Kommen Sie etwas zur Ruhe, Sie sind vielleicht überarbeitet.“ Nur das ging zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr. Abends entspannt einzuschlafen, war fast unmöglich. Da halfen auch die gut gemeinten Schlafmittel nicht, die mir meine Ärztin verschrieben hatte. Schließlich tat ich das, was man niemals tun sollte: Ich googelte meine Symptome. Die Folge: Die Ängste wurden nur noch stärker. Ich fühlte mich wie in einem Hamsterrad. Ich dachte, ich hätte eine Depression: Auf mein Drängen hin schrieb mir meine Hausärztin eine Überweisung zu einer Psychotherapie – und ich hatte sehr viel Glück, schnell eine Therapeutin zu finden. Ich berichtete ihr von meinen Symptomen und begründete ihr wortreich meine Diagnose, an einer Depression zu leiden. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie sie die Stirn in Falten legte, den Kopf schüttelte und sagte: „Ja, das kann man vielleicht denken – und tatsächlich leiden Sie unter etwas, was zur selben Gruppe der seelischen Erkrankungen gehört. Haben Sie schon einmal etwas von einer Angsterkrankung gehört?“ Therapie ohne Medikamente: All das, was sie mir über das Krankheitsbild erzählte, passte. Sogar die Dinge, von denen ich ihr damals noch nichts erzählt hatte. Die Therapeutin offenbarte mir verschiedene Behandlungsformen – ich entschied mich für die ohne medikamentöse Unterstützung. Weil mir Psychopharmaka immer schon Angst machten. Ich vertraute auf ihr Wort, dass sie dies auch nicht dringend als notwendig erachtete. Wir entschieden uns für eine Therapieform, in der ich schrittweise lernte, mit den Symptomen umzugehen, wenn sie anrollten. Der Ansatz ist in Deutschland noch verhältnismäßig neu: ACT stammt aus den USA und ist für die Behandlung von US-Soldaten entwickelt worden, die nach Kriegseinsätzen unter Angst-Symptomen leiden. Anders als bei klassischen Therapieformen, in denen das „Wegmachen“ im Fokus steht, basiert ACT auf den Umgang mit den „inneren Ereignissen“. Spezielle Atemtechniken halfen mir, Angstattacken abzuwehren, bevor sie sich vollends entfalten konnten. Und allein das Wissen, dass eine Panikattacke nur einige Minuten andauert, weil der Körper nicht länger im Stande ist, Adrenalin zu produzieren, war und ist ein hilfreiches Instrument. Kein Makel, sondern ein Teil von mir: Heute weiß ich, dass mein Tag X – der 1. Weihnachtstag 2016 – gar nicht der Anfang war. Ich habe viel gelernt – über die Krankheit, aber auch über mich. Ich kenne die „Angst vor der Angst“. Ich kenne diesen Wunsch, die Symptome loswerden zu wollen – und sie letztlich nur zu verstärken. „Eine Angsterkrankung tritt nicht dann auf, wenn Sie gerade unter Strom stehen, sondern dann, wenn der Körper zur Ruhe kommen könnte – es aber nicht mehr kann“, hat meine Therapeutin einmal gesagt. Heute versuche ich, meine Ruhephasen auszudehnen. Ich mache Yoga und progressive Muskelentspannung. Vor allem aber habe ich meine Angsterkrankung gelernt, nicht als Makel zu sehen, sondern als Teil meiner selbst. * Name der Red. bekannt. Der Betroffene lebt in Schleswig-Holstein, ist 43, und hat, wie er sagt, einen, „bisweilen belastenden Bürojob“. Lesen Sie auch: Angststörung besser ohne Medikamente behandeln

Psychische Gesundheit - Wie es sich anfühlt, eine Angststörung zu haben