Corona-Impfungen: Viele Senioren der Hochrisikogruppe fallen durchs Raster

Dabei ist die Außenstelle des Kieler Stadtklosters eine Senioreneinrichtung. Der feine Unterschied: Während im Erdgeschoss die stationäre Pflege untergebracht ist, befindet sich darüber die Demenz-Wohngemeinschaft - und die gilt als ambulante Einrichtung. Unten wird also gegen Corona geimpft, oben nicht. Dabei ist die Mutter von Andrea Rudolph 80 Jahre alt und fällt damit unter die Gruppe mit höchster Priorität zum Impfen - wie die meisten der elf weiteren Bewohner auch. Deshalb kritisieren die Angehörigen die Impfstrategie scharf. "Wohngruppen bei der Impf-Planung schlichtweg vergessen": "Wir sind davon ausgegangen, dass unsere Lieben vom Impfteam geimpft werden, wenn dieses im Haus ist, um in der Altenpflegestation ein Stockwerk tiefer die Bewohner zu impfen. Nun haben wir erfahren, dass dies nicht vorgesehen ist", sagt Andrea Rudolph. Solche Wohngruppen seien bei der Planung schlichtweg vergessen worden, bemängelt sie. Viele der Bewohner verlassen ihr zufolge die "WG so gut wie gar nicht mehr, weil sie sich außerhalb nicht mehr zurechtfinden. Für sie ist das Impfzentrum, abgesehen vom Infektionsrisiko, eine furchtbare Zumutung", berichtet Rudolph. "Meine eigene Mutter ist noch etwas mobiler, aber schon der Besuch beim Zahnarzt, den sie kennt und mit dem sie vertraut ist, versetzt sie in große Aufregung und bedeutet Stress, auch für mich als Betreuerin und Begleiterin." Betroffen sind alle ambulanten Pflegeformen: Dabei hätten alle Menschen mit Demenz und deren Angehörige bereits "ein furchtbares Jahr" hinter sich. Wer an der Krankheit leide, könne die Maßnahmen wie Maske, Abstand und Besuchsverbot nicht verstehen. "Aus bürokratischen Gründen wird ihnen nun auch noch der Zugang zur Impfung erschwert, die sie so dringend bräuchten", so Rudolph. Lesen Sie auch: Seniorinnen sprechen über Corona-Verbote Sie und die anderen Angehörigen können nicht verstehen, dass eisern daran festgehalten werde, nur Senioren in stationären Bereichen zu impfen, anstatt auch die Menschen anderer Pflegeformen einzubeziehen. "Dabei wird das Impfteam irgendwann im Haus sein. Die bräuchten nur ein Stockwerk höher zu kommen. Die Pfleger wechseln ja auch zwischen beiden Stationen." Betroffen sind längst nicht nur die Demenz-WGs. "Menschen im betreuten Wohnen sind genauso empört", berichtet Eva El Samadoni, Geschäftsführerin des Kieler Stadtklosters. Es gebe inzwischen viele Mischformen für Senioren, zum Beispiel auch die Tagespflege, die nicht als stationär gelten. Lesen Sie auch: Lockdown, Situation an Schulen: So geht es in Schleswig-Holstein weiter Bewegungsradius eingeschränkt: Was das für Städte und Orte in Schleswig-Holstein bedeutet Hoffnung auf Corona-Impfstoff von Moderna: "Das ist das Ergebnis der jahrelangen politischen Strategie 'ambulant vor stationär'", erklärt El Samadoni. Auch die Arbeiterwohlfahrt ist alarmiert, weil sie in ihren Servicehäusern häufig ambulante Pflege anbietet. „Die Awo Schleswig-Holstein fordert daher die finanzielle und personelle Ausstattung weiterer mobiler Impfteams für alternative Wohnpflegeformen“, so Vorstandschef Michael Selck. Eva El Samadoni rät den Angehörigen jedoch davon ab, nun eilig zu versuchen, Termine im Impfzentrum zu vereinbaren. "Ich würde empfehlen, noch zu warten", sagt sie. Lesen Sie auch: Das brauchen sie bei der Impf-Buchung Einerseits lege sie Hoffnungen auf den zweiten Corona-Impfstoff der Firma Moderna, der am Mittwoch von der Europäischen Arzneimittelbehörde zugelassen wurde. Der könne auch von Hausärzten in den Einrichtungen verabreicht werden. Corona-Impfteams auch in ambulanter Pflege: Andererseits gehe sie derzeit davon aus, dass Hochrisikogruppen in ambulanter gleich nach denen in stationärer Pflege von den Impfteams aufgesucht werden. "Vor Ende Januar wird das aber sicher nichts", so El Samadoni. Das Gesundheitsministerium bestätigte das am Mittwoch jedoch nicht. Andrea Rudolph will dennoch versuchen, in der kommenden Woche einen Termin im Gettorfer Impfzentrum zu bekommen, damit ihre Mutter so schnell wie möglich geschützt wird. "Bei der Vorstellung, dass sie und ihre Mitbewohner sich wegen eines Ausbruchs isolieren müssten, dreht sich mir alles um."