Corona: Wie klappt Homeoffice mit Kindern?

Anne Wittern ist Diplom-Psychologin. Die 47-Jährige arbeitet beim Kinderschutz-Zentrum Kiel. Die Einrichtung ist eine Beratungsstelle, die im gesamten Spektrum von „Gewalt gegen Kinder“ betroffene, beteiligte oder besorgte Menschen unterstützt, berät und begleitet. Ein Gespräch über kindliche Hingabe, freudvolle Spiellust und nervenaufreibende Homeoffice-Zeit in der Coronakrise. Frau Wittern, was macht die Flut von negativen Nachrichten derzeit mit unserer Seele? Anne Wittern: Wie unsere Seele auf negative Nachrichten reagiert, hängt mehr von der Ausstattung unserer Seele ab, als von der Qualität der negativen Nachrichten. Nun ist zu sehen, wie stark das seelische Immunsystem ist. Wie können wir es schaffen, in dieser Situation den Optimismus nicht gänzlich zu verlieren? In Notsituationen wie diesen zeigt sich, wie viel Optimismus wir im Laufe unseres Lebens erfahren haben und wie viel wir davon zurücklegen, also hamstern konnten. Denken wir an die Maus Frederik, die faul wirkt, als sie Sonnenstrahlen und Farben hamstert. Als alle Mäuse frieren und hungern, teil Frederik seine Hamsterwaren, und den Mäusen wird warm ums Herz. Wir können uns in dieser Zeit gegenseitig viel geben. Machen Sie sich gegenseitig Mut, telefonieren Sie, erzählen Sie sich von Büchern, die Sie lesen, beschenken Sie sich. Wo sehen Sie bei Familien die größten Probleme? Viele Familien kennen die derzeitigen Schwierigkeiten aus Ferienzeiten. Die Ferien sind endlich da. Eigentlich haben sich alle gefreut. Eigentlich sind Ferien das Schönste. Und dann kracht es erst einmal. Denn alle haben eine ganz eigene Idee, ganz unterschiedliche Erwartungen an die langersehnte freie Zeit. Gemütlich soll es sein, ohne Druck, nichts müssen, entspannen – so denken wir Erwachsenen. Die Kinder fragen nach einem Vier-Minuten-Blitz-Frühstück, wann es denn endlich losgeht, das spannende, vollgefüllte Ferienleben! Corona sind keine Ferien, nein. Ich wage den Vergleich trotzdem. Was können Eltern tun? „Nein! Es soll noch nicht zu Ende sein! Wir wollen weiterspielen!“ Vielleicht kennen Sie diesen Satz von Ihren Kindern. Kinder lieben es, zu spielen. Und wir Eltern haben durch den veränderten Virus-Alltag mehr gemeinsame Zeit mit unseren Kindern zu Hause. Ob wir gleichzeitig mehr Spiel-Lust haben? Überlegen Sie mal kurz: Wann haben Sie sich zuletzt mit Freude in etwas vertieft? Wann hatten Sie das Gefühl, Sie könnten diese Beschäftigung ewig weiterführen? Wann haben Sie zuletzt gespielt? Termine, Zeitdruck, extreme Strukturen verhindern Spiel-Lust. Dass wir plötzlich von allem weniger haben, ist für manchen erstmal beunruhigend, es entstehen Lücken, Langeweile und Strukturlosigkeit. Das sind aber die besten Voraussetzungen für das Spielen! Frühzeitig Rat und Hilfe zu suchen, empfiehlt auch der (DKSB) Schleswig-Holstein. Damit es gar nicht erst aufgrund der zunehmenden Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie zur Eskalation innerhalb der Familie komme. "Für Kinder und Jugendliche ist das Bedürfnis nach Struktur, Orientierung und körperlicher Bewegung geradezu existentiell", betont die Landesvorsitzende Irene Johns. "Eltern sind daher jetzt besonders gefordert und sollten jegliche Unterstützung bekommen und annehmen." Die vor Ort sind telefonisch erreichbar und bieten Beratung durch geschulte Fachkräfte an. Telefonisch ist der DKSB-Ortsverband in Kiel unter Tel. 0431/12218-0 zu erreichen. Oder per Mail unter info@kinderschutzbund-kiel.de. Weitere Kontaktdaten sind hier zu finden. Eine weitere telefonische Anlaufstelle für rat- und hilfesuchende Kinder und Jugendliche ist zudem die "Nummer gegen Kummer" (bundesweit unter der Telefonnummer 116111, Mo-Sa 14-20 Uhr). Für Eltern gibt es die bundesweite Telefonnummer 0800/1110550 (Mo-Fr, 9-11 Uhr, Di und Do, 17-19 Uhr). Was können wir von den Kindern lernen? Nichts anderes vorzuhaben, nichts erledigen zu müssen, sich nur im Moment aufzuhalten. Das sind Bedingungen und Fähigkeiten, die unsere Kinder erleben und auszeichnen und die uns Erwachsenen immer weniger zugänglich sind. Wie sieht erwachsenes Spiel aus? Wo gibt es im Alltag gemeinsames Beschäftigen, Fokussieren auf eine Tätigkeit, die man mit dem kindlichen Spiel vergleichen könnte? Zusammen in einen freudvollen Spielfluss zu kommen, dazu gibt es in den kommenden Wochen ziemlich gute Voraussetzungen. Nutzen wir die Krisenzeit für neue alte Erfahrungen, für eine Rückkehr zum Spiel. Nicht nur für unsere Kinder, sondern auch für uns. Wie soll das funktionieren, wenn ich als Mutter oder Vater nebenbei noch Homeoffice machen muss? Unser Alltag funktioniert im Wechsel von Anspannung und Entspannung, von Arbeit und Spiel, von Schule und Spielplatz, von Struktur und Freiheit. Schaffen Sie auch in der Zeit der Krise diesen Wechsel, richten Sie Zeiten ein, in denen gearbeitet wird und schaffen Sie Zeiten, die frei für das Spielen sind. Erstellen Sie beispielsweise mit Ihren Kindern einen Stundenplan, der für alle sichtbar festlegt, wann „Schulzeit“ und wann „Spielzeit“ ist, wann „Arbeitszeit“ für die Eltern, und wann „Feierabend“ ist. Was für Zeiten soll es noch geben? Planen Sie mit Ihren Kindern gemeinsam. Kuchenzeit, Vorlesezeit, Langeweilzeit, Fernsehzeit, Tobezeit, Hilfezeit, Quatschzeit… Kinder sind tolle Planer! Und wenn die Kinder die Zeiten nicht einhalten? Wenn sie doch pausenlos in der Arbeitszeit stören? Wer mitbestimmen darf, der ist auch bereit sich an Vereinbarungen zu halten. Grundsätzlich ist die Idee eines Homeoffice ja nicht die, Kinder und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Die „Arbeitszeit“ also grundsätzlich so zu planen, dass die Kinder versorgt sind, ist wünschenswert. Aber sicher nicht immer möglich. Je jünger die Kinder sind, desto kürzer sollten die Zeiten sein, die die Kinder ohne Mama- oder Papa-Störung schaffen. Feiern Sie, wenn Ihre Vierjährige Sie zehn Minuten hat arbeiten lassen. Ihr Zehnjähriger schafft es vielleicht schon 40 Minuten lang, seine Bedarfe allein zu regeln. Da knüpfe ich nochmal an die unterschiedlichen Erwartungen an solche Zeiten an. Wenn Sie Ihrem Fünfjährigen eine zweistündige Arbeitsphase abverlangen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es zu genervtem Streit kommt. Gute Tipps. Aber was tun Betroffene, wenn die Lage dann doch eskaliert? Dann rufen Sie uns an (lacht). Ein Gespräch kann entlasten. Und wir bieten konkrete Ideen zum gemeinsamen Spiel und für die gemeinsame Zeit an. Wir helfen auch, wenn das Spielen Frust und Ärger bereitet. Oder wenn die Langeweile nicht in kreatives Schaffen, sondern in Wut und Streit umschlägt und Ihnen als Eltern der Geduldsfaden zu platzen droht. Dann sind wir für Sie da. Kennen Sie schon die Post aus dem Newsroom? Den kostenfreien Newsletter der Kieler Nachrichten versenden wir Mo-Fr ab 17 Uhr. Hier können Sie sich für unser Mailing anmelden. Sie interessieren sich für Holstein Kiel? Dann melden Sie sich hier für den Newsletter " Holstein Kiel - Die Woche " kostenfrei an. Versand: jeden Freitag, 11.30 Uhr. Lesen Sie auch: Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein Corona: Die wichtigsten Telefonnummern für Schleswig-Holstein Heiner Garg: Ausgangssperre für Schleswig-Holstein ist denkbar Ausgangssperre: Was bedeutet das? Blick nach Mitterteich Seebäder wie Laboe, Strande und Schönberg bitten Tagesausflügler: Bleibt bitte fern! Interview: Herr Felbermayr, brauchen wir ein Corona-Schmerzensgeld? Eltern in Sorge: Sohn lief mit Stefan Thesker (Holstein Kiel) auf, der Covid-19 hat Comunity Music: Singen für die Zuversicht in Kiel Kieler Woche wegen Corona verschoben Corona-Ausnahmeregelung: Welche Geschäfte öffnen am Sonntag, welche nicht? 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Expertin im Interview - Corona: Wie klappt Homeoffice mit Kindern?