Flaschenpost aus der Kieler Förde erreicht Enkelin des Absenders nach 101 Jahren in Berlin

Unzählige Journalisten hatten sich nach dem Fund des Möltenorter Fischers Konrad Fischer auf die Spuren des vermeintlichen Bäckermeisters Richard Platz im Berliner Stadtteil Baumschulenweg geheftet. Sie alle wollten wissen: Wer war der Mann, der 1913 eine Bierflasche mit einer dänischen Postkarte und zwei Briefmarken in die Ostsee geworfen hatte und um Rücksendung bat? Fündig wurde nur einer: Der professionelle Familien- und Erbenermittler Veit Godoj. Der erste Artikel über die Flaschenpost in den Kieler Nachrichten schlug bei ihm ein wie der Blitz. „Da geht bei mir das Jagdfieber los, da bin ich nicht mehr zu stoppen.“ Jeder hinterlässt Spuren: In aufwändigen Recherchen fand Godoj heraus, dass die Familie Platz nur ein Jahr in Baumschulenweg gewohnt hat und 1914 in die Parkstraße am Treptower Park umgezogen ist. Die heißt heute Bulgarische Straße. Dort haben drei Platz-Generationen rund 40 Jahre lang gewohnt. Auch Enkelin Angela Erdmann ist dort geboren und hat die ersten acht Jahre ihres Lebens in der Wohnung mit dem zehn Meter langen Flur und den unzähligen Büchern verbracht. Denn Richard Platz war Schriftsteller. Der irrtümlich gesuchte Bäckermeister war sein Vater – der allerdings auch Richard hieß. „Es ist so schön für mich, das alles jetzt kennenzulernen“, schwärmt Angela Erdmann. Den Rummel um die älteste Flaschenpost der Welt hatte die 62-Jährige glatt verpasst. Sie kam gerade erschöpft von einer Radtour, als Veit Godoj vor ihrer Tür stand. „Dass er mich überhaupt gefunden hat, grenzt an ein Wunder, denn ich bin 19 Mal umgezogen und habe drei Mal durch Heirat einen anderen Namen angenommen“, erzählt die quirlige Berlinerin, die bisher kaum etwas über ihren Großvater wusste. Ihre Cousine gab ihr eine „Riesenkiste“ mit Fotoalben und Briefen von Richard Platz, dem Schrifsteller, Inspektor und Redenschreiber im Rathaus Berlin-Schöneberg. Durch den Inhalt dieser Kiste ist Angela Erdmann ihrem Großvater näher gekommen, mehr noch: ihre Familiengeschichte hat plötzlich neue Facetten und neue Mitglieder. Opa Richard erweist sich in seinen Briefen als feingeistiger Mensch – kulturell interessiert, belesen und Mitglied der damals populären Wandervogel-Bewegung. „Mein Großvater war ein besonderer Mensch, voller Toleranz, Mitgefühl und Liebe“, sagt Angela Erdmann. Seine Frau Ella lernte Richard Platz bereits 1905 – als 13-Jähriger – auf einer Wanderung in Ostpreußen kennen. „Ich kam, sah – und sie siegte“ schrieb er damals in sein Fotobuch. „Ich kann mir gut vorstellen, dass Opa Richard die Flaschenpost auf einer Reise nach Ostpreußen für seine geliebte Ella ins Meer geworfen hat“, glaubt Angela Erdmann. Richard Platz starb 1946, herz- und zuckerkrank, nach Kriegsjahren voller Entbehrungen an einem Blinddarmdurchbruch beim Steineklopfen. Sein Gruß aus dem Meer soll nach dem Willen seiner Tochter im Maritimen Museum in Hamburg bleiben. „Ich werde dem Museum mein Material zur Verfügung stellen, damit die Besucher sehen können: Das ist das Gesicht hinter der Flaschenpost.“

Nach 101 Jahren - Das Gesicht hinter der Flaschenpost