KN-Interview mit Niclas Herbst über Fangquoten und Kutter-Abwrackprämie

Herr Herbst, Wissenschaftler sprechen von der größten Krise der Ostsee-Fischerei seit der Wiedervereinigung. Teilen Sie die Meinung? Niclas Herbst: Wir verzeichnen seit Jahren einen Rückgang der Betriebe, die Fischer mussten bei den sogenannten Brotfischen dramatische Einschnitte hinnehmen – zunächst beim Dorsch, dann beim Hering. Nachhaltiges Wirtschaften war gar nicht möglich. Und in den vergangenen zwei Jahren spitzte sich die Lage nochmals zu. Somit ist die Einschätzung der Wissenschaftler, dass wir mitten in einer großen Krise sind, zweifellos richtig. Sie sprechen den Klimawandel an, der einige Fischbestände in der Ostsee hart trifft. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die auch die Wissenschaftler teilweise noch nicht genau benennen können. Aber klar ist, der Klimawandel kommt an und trifft besonders den Hering in der westlichen Ostsee. Auch die Eutrophierung spielt eine Rolle. Wir sind in einer Situation, in der die Berufsfischer leiden, ohne dass sie es selbst verantwortet haben. Somit muss die Politik Verantwortung übernehmen. Eine Maßnahme sind Prämien für die dauerhafte Stilllegung der Fischereifahrzeuge. Wie kam es dazu? Im Herbst vergangenen Jahres, als für den Dorsch in der östlichen Ostsee ein Fangverbot erlassen wurde, schlug die Europäische Kommission vor, dass nicht nur temporäre-, die es ja schon gab, sondern dauerhafte Stilllegungsprämien den Fischern angeboten werden sollen. In dem Zuge bin ich zum Berichterstatter des Europaparlaments gewählt worden und habe die Forderung gestellt, dass dieses Angebot nicht nur auf den Ost-Dorsch begrenzt wird, sondern auch auf Hering und Dorsch in der westlichen Ostsee. Somit würden auch die Fischer in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein profitieren. Corona-bedingt haben sich die Beratungen gezogen, aber vor einigen Wochen wurde der verbesserte Vorschlag verabschiedet. Lesen Sie auch: Darum ist die Abwrackprämie umstritten Mit wie viel Geld können die Betriebe rechnen? Zunächst haben wir auf EU-Ebene den Rahmen geschaffen. Nun müssen die Länder das Programm umsetzen. Dafür sind auch noch Mittel im Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) vorhanden. Für 2021 bis 2027 gilt der neue EMFF, darin ist die sogenannte Abwrackprämie auch dauerhaft verankert. Der Fond wird zukünftig 6,1 Milliarden Euro umfassen, über die genaue Verteilung entscheiden die Mitgliedstaaten. Das Geld ist also vorhanden, ein größeres Problem ist die Bürokratie. Aber: Die Fischer können ab sofort Anträge vorbereiten. Ungeklärt ist die Anrechnung von temporären Stillliegeprämien aus den Vorjahren. Einige Fischer befürchten, es bleibe von der Abwrackprämie kaum etwas übrig. Ich denke, das Geld darf nicht auf die neue Prämie angerechnet werden, weil es eine andere Leistung ist. Die EU-Kommission und auch die Mehrheit des Parlaments sehen das leider anders. Meiner Meinung nach können die Länder das Defizit aber durch die Höhe der neuen Abwrackprämie ausgleichen. Rechnen Sie damit, dass viele Fischer das Angebot annehmen und in Rente gehen? Die Fischer werden sich nicht darum reißen, weil sie ihren Beruf natürlich lieben. Aber wenn jemand sagt ,Es geht nicht mehr‘, dann ist es das, was die EU möglich machen kann, um einen sozialverträglichen Ausstieg zu ermöglichen – in der Hoffnung, dass es dann dauerhaft für die verbliebenen Fischer besser wird. Die Quoten sind in Deutschland derzeit an die Fischereifahrzeuge gebunden. Gehen Fischer in Rente, würde ihre Quote auf die verbliebenen Betriebe aufgeteilt werden. Natürlich setzen wir mit der Abwrackprämie einen Anreiz, und es war sogar eine Forderung aus dem Fischereisektor, die wir nun umgesetzt haben. Wir wollen, dass die Fischerei überlebt. Wir wollen es den Betrieben, die gute Überlebenschancen haben, ermöglichen, dauerhaft nachhaltig zu wirtschaften. Es gibt zwar die Befürchtung, dass viele kleinere Betriebe von der Prämie nicht partizipieren können, aber wir haben bewusst die Einigung so formuliert, dass es für jeden Einzelnen möglich sein wird, auszusteigen. Gibt es eine Strategie, wie man sich die Anzahl und Größe der Betriebe mittel- bis langfristig vorstellt, damit die Küstenfischerei eine Zukunft hat? Ich möchte keine Vorgaben machen. Sicher bräuchten wir eine Mischung aus kleinen und großen Betrieben, damit auch die Landstrukturen mit ihren Erzeugergemeinschaften erhalten bleiben. Mir ist es vor allem wichtig, dass wir den Fischern sagen, dass es ein Angebot für alle Fischer sein soll und nicht ein politischer Steuerungsmechanismus. Lesen Sie auch: Kommentar: Sven Hornung zur Kutter-Abwrackprämie Ein anderes Thema, das fortlaufend hohe Wellen schlägt, ist das Baglimit 5 (2), also die Entnahme von fünf Dorschen pro Angler und Tag (zwei Dorsche im Februar und März). Ist die Zeit für Anbieter von Hochseeangelfahrten in der Ostsee endgültig abgelaufen? Zunächst einmal: Wer fünf Dorsche fängt, ist derzeit ein Glückskind. Das berichten mir jedenfalls passionierte Angler und Kapitäne. Letztere erzählen mir auch, unabhängig von Corona, dass sie Angeltouristen jedenfalls die theoretische Möglichkeit bieten müssen, sieben oder mehr Dorsche zu fangen. Das nennt man wohl Verkaufspsychologie. Nicht nur die Fischerei, auch der Angeltourismus ist ein wichtiger Baustein für Schleswig-Holstein. Und deshalb haben auch diese Kutterkapitäne Unterstützung in schweren Zeiten verdient. Ich würde sie gerne an neuen Fördermöglichkeiten anständig partizipieren lassen. Ihre Vorgängerin im Fischereiausschuss, Ulrike Rodust (SPD), gestaltete als Berichterstatterin federführend die Fischereireform mit. Was sind Ihre persönlichen Ziele? Mein Wunsch ist es, dass wir es allen Beteiligten ermöglichen, mal über einen längeren Zeitraum konstant und nachhaltig zu wirtschaften – und nicht von Jahr zu Jahr mit den Ad-hoc-Fischereiquoten zu arbeiten. Ansonsten sind Wünsche fehl am Platz. Wir müssen gucken, dass wir durch die nächsten Jahre kommen. Interview: Sven Hornung