Kiel: Schwerstbehinderter fühlt sich verlassen und falsch vom Amt beraten

Trotz der vielen Rückschläge ist der Humor des Kielers ungebrochen. „Ich bin nicht kurz – ich bin ein Hobbit“ steht auf Englisch auf seinem T-Shirt. Das beschreibt seine Philosophie gut. "Ich kämpfe weiter und suche immer das Positive." Bei seiner Lebensgeschichte ist das allein schon eine Leistung. Oliver Baak ist schon schwerstbehindert zur Welt gekommen. Seit er sieben Jahre alt ist, sitzt er im Rollstuhl. Er besucht ein Internat für Menschen mit Körperbehinderung in Bad Pyrmont, als ihn mit 18 Jahren eine beidseitige Lungenentzündung zurückwirft. Wochenlang liegt er im Koma, nach elf Wochen auf der Intensivstation geht es ihm besser, aber von nun an muss er dauerhaft beatmet werden. Erst Ausbildung, dann eigene Wohnung: Er muss sein Internat verlassen und zieht in das DRK-Internat nach Raisdorf. Dort macht er 2010 die Fachhochschulreife und macht eine Ausbildung zum Bürokaufmann, die er auch erfolgreich abschließt. Dann hat er erst einmal etwas in der Tasche, hat man ihm gesagt. Und für die Ausbildung gab es ja Bafög. „Eigentlich wollte ich aber schon damals Soziale Arbeit studieren, aber es hieß: Das kannst du ja immer noch machen.“ Das tut Oliver Baak auch, zieht in eine eigene Wohnung, damit er die Fachhochschule erreichen kann. Vorher erkundigt er sich, rollt persönlich bei diversen Ämtern und Beratungsstellen vor. „Es hieß freundlich, dass das kein Problem sei und ich weiter Unterstützung erhalten würde. Doch als es ernst wurde, bekam ich bei der Eingliederungshilfe, beim Amt für Wohngeld, beim Amt für soziale Dienste und beim Jobcenter immer die gleiche Antwort: Hier sind Sie leider falsch.“ Für Bafög ist Oliver Baak aus Kiel zu alt: „Ein Berater im Jobcenter hat schließlich einen Ausweg gesehen: Ich solle das Studium der Sozialen Arbeit abbrechen und mich für ein Studium anmelden, für das es aufgrund der Berufsausbildung wieder Bafög gibt.“ Das macht Oliver Baak auch. Was der Berater im Jobcenter übersehen hatte: Oliver Baak hat inzwischen die Altersgrenze von 30 Jahren überschritten – und geht wieder leer aus. Dennoch studiert er weiter. Möglich ist das nur, weil der Vermieter erst einmal auf die Miete verzichtet. Schwerstbehinderter aus Kiel: Keine Erwerbsminderungsrente, kein Job: Nun habe man ihm im Jobcenter geraten, Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Auch das macht Oliver Baak - und erhält nach eineinhalb Jahren die Antwort: Er hat keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, weil er nicht lange genug in die Rentenkasse eingezahlt hat. Im März 2019 bekommt er eine Blutvergiftung, erleidet einen Herzstillstand, kann aber wiederbelebt werden. Es folgen mehrere Operationen, durch die er viel Stoff in der Fachhochschule verpasst und schließlich sein Studium aufgibt. Denn immer wieder hört er, er könne doch in seinem Ausbildungsberuf auch von Zuhause aus arbeiten und Geld verdienen. „Das würde ich ja gerne. Doch auf meine 30 Bewerbungen habe ich eine Einladung und eine Handvoll direkte Absagen bekommen – der Arbeitsmarkt ist von Teilhabe weit entfernt.“ Die Ausbildung - der größte Fehler: Im Nachhinein, sagt der 32-Jährige, sei die Ausbildung ein großer Fehler gewesen. „Das hat mir wichtige Förderwege verbaut und am Ende doch keine Arbeit und keine Teilhabe gebracht.“ Für den Sozialverband Schleswig-Holstein, der den Fall geprüft hat, ist aber auch bei Ämtern und Behörden einiges schiefgelaufen. „Der junge Mann wurde falsch beraten. Das zeigt, dass Ämter offenbar noch nicht ausreichend auf ungewöhnliche Lebenswege vorbereitet sind und eine zentrale Beratung fehlt.“ Immerhin hält der Vermieter zu Oliver Baak. Er hat ihm einen Minijob gegeben, den er im Homeoffice erledigen kann. „Eine richtige Teilhabe ist das aber nicht“, sagt Baak und fordert ein transparentes System mit unkomplizierten Förderwegen, damit jeder sich bilden und auch arbeiten kann. Jobcenter Kiel sieht bedauerliche Missverständnisse: Im Jobcenter Kiel bedauert man, dass sich Oliver Baak falsch beraten fühlt. Pressesprecherin Anna Mergner geht von Missverständnissen aus: „Als Jobcenter können wir gar nicht zu Fragen des Studiums und zu Bafög eine verbindliche Auskunft geben. Dazu ist das Thema viel zu komplex. Da müssen wir immer ans Bafög-Amt verweisen.“ Und zum Thema Erwerbsminderungsrente sagt sie: „Wenn man von der Zuständigkeit her von Sozialgesetzbuch II zu Sozialgesetzbuch XII wechselt, müssen wir immer bitten, erst einmal zu klären, ob dem Kunden eine Erwerbsminderungsrente zusteht, weil das eine vorrangige Leistung ist. Wir können aber nicht sagen, ob dieser Anspruch besteht oder nicht.“ Erst wenn die Erwerbsminderungsrente abgelehnt sei, bestehe Anspruch auf Grundsicherung. „Ich kann aber gut verstehen“, sagt Anna Mergner, „dass Bürger durch diesen Dschungel verschiedener Förderwege und -ansprüche kaum noch durchblicken.“ Mehr aus Kiel lesen Sie hier.