Prozess in Itzehoe: Was wusste KZ-Sekretärin über Morde im KZ Stutthof?

Das KZ Stutthof bei Danzig war Teil der Tötungsmaschinerie des Nationalsozialismus – mittendrin arbeitete Irmgard F. als Sekretärin des SS-Lagerkommandanten. Die heute 95-Jährige lebt in einem Altenheim in Quickborn, aber sie könnte sich schon bald vor dem Landgericht Itzehoe für die Taten ihrer Jugend verantworten müssen. Es geht um Beihilfe zum Mord an mehr als 10.000 Menschen. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben. Ihr Pflichtverteidiger ist der Kieler Anwalt Wolf Molkentin. Die Jugendkammer im Landgericht Itzehoe prüft zurzeit, ob sie die Anklage zulässt und es zu einem Prozess kommt. Irmgard F. soll von Juni 1943 bis April 1945 zum Mord an Juden, polnischen Partisanen und sowjetischen Kriegsgefangenen beigetragen haben. „In weiteren Fällen blieb es laut Anklageschrift bei der Beihilfe zu versuchtem Mord“, sagt Oberstaatsanwalt Peter Müller-Rakow. Dabei geht es um jene KZ-Häftlinge, die das Lager überlebt haben. Wie viel wusste Irmgard F. von den Morden im KZ? Sollte es zum Prozess kommen, wird es darum gehen, inwieweit Irmgard F. vom Morden im KZ wusste und ob sie indirekt einen Beitrag leistete. In Vernehmungen nach dem Krieg hatte sie bekannt, für den Kommandanten Paul Werner Hoppe den Schriftverkehr zur Verwaltung des Lagers geführt zu haben. Vom systematischen Morden habe sie aber weder gewusst noch gelesen. Ein Lageplan zeigt allerdings, wie nah die Kommandantur dem Krematorium war. F. soll sogar freien Blick auf das Krematorium gehabt haben. „Die im Lager Stutthof begangenen furchtbaren Mordtaten sollten in einem Verfahren auch von der Verteidigung nicht infrage gestellt werden“, so Pflichtverteidiger Molkentin. Darüber sei er sich mit Irmgard F. einig. „Die Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus und der Shoah ist eines meiner Lebensthemen“, sagt der Anwalt der Kanzlei Gubitz und Partner. Zwar würde er persönlich keinesfalls überzeugte Nazis verteidigen. Aber das schließe nicht aus, das Mandat in diesem Verfahren nach den „Regeln der Kunst“ zu übernehmen. Er sehe es als seine Aufgabe, von Verteidigerseite den überlebenden Opfern und ihren Hinterbliebenen würdevoll gegenüberzutreten. Außerdem sei wichtig, die Grundsatzfrage sachgerecht zu behandeln – nämlich die indirekte Mitwirkung an Verbrechen. Nach dem Krieg arbeitete die Angeklagte weiter als Schreibkraft: Hoppe, Hauptverantwortlicher für das systematische Morden im KZ Stutthof, flüchtete nach dem Krieg zunächst nach Flensburg und später in die Schweiz. 1953 wurde er verhaftet, 1957 zu neun Jahren Haft verurteilt und schon drei Jahre später wieder entlassen. Er starb 1974. Irmgard F. führte nach dem Krieg nach allen bisher bekannten Informationen ein unauffälliges Leben in Schleswig-Holstein und arbeitete weiter als Schreibkraft. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe geht davon aus, dass die 95-Jährige verhandlungsfähig ist. Die Jugendkammer ist zuständig, weil die Beschuldigte zum Tatzeitraum zwischen 18 und 20 Jahre alt war. Laut Molkentin prüft ein Gutachter jetzt die Verhandlungsfähigkeit von Irmgard F. Auch Opfer und Hinterbliebene sollen zu Wort kommen: Die Ermittlungen laufen seit mehreren Jahren: In Ludwigsburg (Baden-Württemberg) arbeitet die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen für Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen systematisch daran, auch Helfer und Handlanger der nationalsozialistischen Konzentrationslager zur Verantwortung zu ziehen. 2016 übergab Ludwigsburg den Fall Irmgard F. an die Staatsanwaltschaft Itzehoe, die sich nun für die Anklage entschied. Molkentin kann und will noch nichts zur Strategie sagen: „Als Verteidiger bin ich ausschließlich den Interessen von Frau F. verpflichtet.“ Neben der Chance auf eine faire Verteidigung ist für Molkentin auch dieser Aspekt wichtig: „Ich möchte, dass die überlebenden Opfer und ihre Hinterbliebenen Gelegenheit haben, ihre Verfolgungsgeschichten zu erzählen und Zeugnis abzulegen.“