Prozess um Mordanschlag in Eckernförde: Mutmaßlicher Schütze vor Gericht

Gestern im Kieler Landgericht wurde der mutmaßliche Haupttäter, der am Sonnabend in der Wohnung seiner Freundin gefasst wurde, überraschend aus der JVA Lübeck vorgeführt. Der 30-Jährige kam in Begleitung seines Anwalts. Erwartungsgemäß machte er als Beschuldigter von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Seine kurze Vernehmung beschränkte sich auf die Feststellung der Personalien. Am Inhalt des Urteils änderte sich dadurch nichts: Wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verurteilte die Schwurgerichtskammer den 36-jährigen Angeklagten aus Bad Schwartau zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Staatsanwalt Benedikt Bernzen hatte lebenslange Haft wegen heimtückischen Mordversuchs gefordert. Eckernförde: Das Tatmotiv bleibt weiterhin unklar: Verteidiger Siegfried Schäfer (Hamburg) wertete den Tatbeitrag als versuchte Tötung durch Unterlassen: Sein Mandant habe das lebensgefährlich verletzte Opfer sich selbst überlassen. Schäfer verzichtete auf einen konkreten Antrag. Er werde vorsorglich Revision einlegen, kündigte er unmittelbar nach der zweistündigen Urteilsbegründung an. Das Warum der Tat vor mehreren großen Doppelhausblöcken und Reihenhäusern im Domsland in Eckernförde blieb auch im Urteil des Kieler Landgerichts im Dunkeln. Der nicht vorbestrafte Angeklagte hatte sich vor Gericht dazu bekannt, das Opfer mit einem Baseballschläger und Fußtritten traktiert zu haben. Vom Einsatz der Schusswaffe durch seinen Begleiter will er total überrascht und schockiert worden sein. Die Anklage warf ihm Heimtücke als Mordmerkmal vor. Doch dem Gericht fehlte der sichere Beweis, dass das Opfer bei der Abgabe der letzten beiden Revolverschüsse tatsächlich arglos war. Wie der Vorsitzende Jörg Brommann ausführte, habe der im Eckernförder Wohngebiet lebende Armenier wahrscheinlich schon vorher zwei Fehlschüsse gehört. Der 33-Jährige konnte zudem nach Zeugenaussagen ein Stück weit flüchten, bevor ihn auf dem Parkplatz an der Straße Domsland zwei Projektile in Nacken und Hinterkopf trafen. Der Angeklagte soll mit dem Einsatz der Schusswaffe gerechnet haben: Keine Zweifel hat die Kammer dagegen daran, dass der Angeklagte am Tatort entgegen seiner Behauptung mit dem Einsatz der Schusswaffe rechnete. Der mutmaßliche Schütze galt im Prozess bisher als der große Unbekannte. Eisern verschwieg der Angeklagte seinen Namen. Nun scheint die Identität des befreundeten Landsmanns geklärt zu sein. Offenbar gelang es LKA-Spezialisten, das Netz digitaler Kommunikationsspuren auf Smartphones und Pkw-Navis zu entschlüsseln und gelöschte Daten wiederherzustellen, die den 30-Jährigen belasten. Lesen Sie auch: Verdächtiger im Fall Maddie wird verlegt Fraglich bleibt, ob der im ersten Halbjahr 2021 zu erwartende zweite Prozess um den mysteriösen Anschlag dessen Hintergründe aufdecken kann. Die Kammer bekennt sich bisher zu ihrer „völligen Unkenntnis“. Über „unbekannte Hintermänner“ oder „mafiöse Strukturen“ könne man nur spekulieren.