Suchtexpertin aus Kiel: So stellt man fest, ob man zu viel Alkohol trinkt

Alkohol ist eine Volksdroge – und die Zahl der Abhängigen steigt. Fast 45 000 Menschen in Schleswig-Holstein waren 2020 laut einer neuen Untersuchung der Barmer Krankenkasse alkoholkrank. Die Zahl der Betroffenen ist im Zeitraum von 2016 bis 2020 um rund 11,5 Prozent gestiegen. Wie merkt man selbst, wann aus einem gelegentlichen Bier oder Wein eine Sucht wird? Suchtexpertin Marina Soltau kennt die Antwort. Sie leitet die TASK Tagesrehabilitation für suchtkranke Menschen in Kiel. Im Interview erklärt sie, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol aussieht. Frau Soltau, die Zahl der Alkoholkranken in Schleswig-Holstein ist in den letzten Jahren angestiegen. Hat die Corona-Zeit die Lage nochmal zusätzlich verschärft? Marina Soltau: Die Corona-Zeit hat – wie auf alle psychischen Erkrankungen – wie ein Brennglas draufgehalten. Wir erleben viel mehr Zulauf von betroffenen Menschen, was natürlich mit dem Wegfall der sozialen Kontrolle zu tun hat. Es gibt eine Verschärfung des noch grenzwertigen Konsumverhaltens hin zu einem missbräuchlichen, abhängigen Verhalten. Alkoholsucht in Schleswig-Holstein: Abstinenz an mehreren Tagen in der Woche wichtig: Ab welchen Mengen wird der Alkoholkonsum für die Gesundheit gefährlich? Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert einen risikoarmen Konsum. Das bedeutet für Frauen: nicht mehr als ein Standardgetränk am Tag, also beispielsweise 0,3 Liter Bier. Bei Männern sollten es nicht mehr als zwei Standardgetränke sein. Wobei dabei wichtig ist, dass man mindestens zwei, besser drei Tage in der Woche abstinent ist und sich das auch nicht fürs Wochenende aufspart, um dann alles auf einmal zu trinken. Die definierten Mengen sind aber ehrlicherweise auch nur risikoarm – und nicht risikofrei. Lesen Sie auch Ihr Mann war Alkoholiker: Eine Witwe ringt um Hilfe Suchtprobleme während Corona: Die Krise in der Krise Woran erkennt man, dass man eventuell in eine Abhängigkeit gerät? Ein wichtiges Anzeichen für einen selber ist, wenn man seine eigenen Vorsätze nicht mehr einhalten kann: Man hat sich vorgenommen, am Abend nur ein Bier zu trinken und das klappt nicht. Wenn man seine inneren Vorhaben bricht und dafür immer wieder Gründe findet, ist das ein Warnsignal. Woran man es auch noch merken kann: Das eigene Umfeld spricht einen vermehrt auf den Alkoholkonsum an oder man trinkt zu unangemessenen Anlässen und Zeiten. Wie schafft man es, einen verantwortungsvollen Umgang mit alkoholischen Getränken zu entwickeln? Wichtig ist, sich über die risikoarmen Mengen bewusst zu sein, es sollte immer abstinente Tage geben. Man sollte auch aufpassen, dass man keine Trinkgewohnheiten entwickelt, mit denen man seine Emotionen reguliert. Als Beispiel: Man trinkt immer Alkohol, wenn man gefrustet ist – das ist sehr problematisch. Im gesellschaftlichen Rahmen sollte man sich nicht mit dem am Tisch messen, der sowieso total viel trinkt. Es ist ein fatales Phänomen, dass viele sagen: Mein Nachbar hat ja viel mehr als ich getrunken. Daran sollte man sich nicht orientieren – denn wir haben in Deutschland tatsächlich ein großes Alkoholproblem. Suchtexpertin aus Kiel: Freunde auf Alkoholkonsum ansprechen: Sollte man Freunde und Bekannte darauf ansprechen, wenn Sie auffällig viel Alkohol trinken? Das sollte man tun, weil es eine ganz wichtige Rückmeldung ist. Es ist ein bisschen wie Erste Hilfe an der Seele. Wenn derjenige die Rückmeldung nicht bekommt, bleibt er in seinem eigenen Konsumverhalten drin und merkt es gar nicht. Wichtig ist, dass man seine Wahrnehmung und Sorgen äußert. Es geht dabei ums wertfreie Ansprechen und nicht um eine Verurteilung – denn Alkoholsucht ist eine Erkrankung. Man würde ja auch niemandem, der eine Krebsdiagnose hat, vorwerfen, dass er schlecht aussähe. Aufklärung vor den Gefahren von Alkohol: Am Sonnabend startet die bundesweite Aktionswoche Alkohol. Auch in Schleswig-Holstein informieren Fachleute und Freiwillige aus der Suchthilfe und Suchtprävention mit vielfältigen und kreativen Veranstaltungen über die Risiken des Alkoholkonsums. In Kiel gibt es zu diesem Anlass eine besondere Wanderausstellung: Unter dem Titel „Schlucken und Schweigen“ zeigen Betroffene mit beeindruckenden Fotocollagen und Texten, wie hart der Weg aus der Sucht ist. Die Ausstellung wird am 15. Mai um 11 Uhr mit einem Themengottesdienst in der Thomaskirchengemeinde in Kiel-Mettenhof eröffnet und läuft bis zum 22. Mai. Ratsuchende können sich unter anderem an die Stadtmission Mensch in Kiel wenden: Tel. 0431/26044500 oder online unter www.stadtmission-mensch.de.