Warum das neue Polizeigesetz für Schleswig-Holstein auf sich warten lässt

Schon 2017 hatten sich die Landes-Innenminister grundsätzlich geeinigt, ein Musterpolizeigesetz zu entwickeln. Doch die Realität hat diesen Plan überholt: Inzwischen haben etliche Bundesländer ihre Gesetze bereits erneuert und offene Fragen geklärt. In Schleswig-Holstein dagegen steht die Reform nach wie vor aus – und das, obwohl sich die Jamaika-Koalition schon im Sommer 2019 grundsätzlich geeinigt hatte. Worum geht es? Brisant: Wie wird finaler Rettungsschuss in Schleswig-Holstein geregelt? Der brisanteste Punkt ist der sogenannte finale Rettungsschuss: Dass ein Polizist beispielsweise zur Abwehr eines Anschlags im alternativlosen Moment Menschen erschießen darf, harrt in Schleswig-Holstein der Klärung. „Diese Regelung ist überfällig“, sagt Sven Neumann, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Zuletzt habe Mecklenburg-Vorpommern nachgezogen. „Jetzt verzichten nur noch Berlin und Schleswig-Holstein auf eine ausdrückliche Regelung“, moniert Neumann. Florian Becker, Professor für öffentliches Recht an der Uni Kiel, sagt: „Beim finalen Rettungsschuss stellen sich im Grunde zwei Fragen: Darf der Staat das? Und: Gibt es für den Schützen strafrechtliche Konsequenzen?“ Das Thema sei vor allem ungemütlich: „Der Polizist war persönlich in strafrechtlicher Hinsicht eigentlich immer schon aus dem Schneider, wenn er sich auf das Nothilferecht berufen konnte. Aber allein die Fragen ausdrücklich im Polizeirecht zu klären, hinterlässt einen fahlen Beigeschmack: Das hat man rechtsstaatlich nicht gerne.“ Tödlicher Schuss auf Kinder: Kinderschutzbund dagegen: Dass angedacht ist, auch eine Regelung für einen tödlichen Schuss auf Kinder zu schaffen, bezeichnet die SPD-Polizeiexpertin Kathrin Bockey als „mentalen Dammbruch“. Auch der Kinderschutzbund widerspricht vehement. Lesen Sie auch: Innenministerium möchte der Polizei erlauben, im Ausnahmefall auch auf Kinder zu schießen Ende Oktober gingen Hunderte Menschen meist linker Gruppierungen in Kiel gegen den Entwurf auf die Straße. Sie kritisierten auch, dass die Polizisten Elektroschocker (Taser) als Waffen erhalten und Bodycams einsetzen sollen. Elektronische Fußfesseln und Aufenthaltsgebote sollen zur Terrorabwehr beitragen. Anlasslose Kontrollen auf Transit- und Grenzstraßen sind vorgesehen. Aus Sicht der Gegner wird die Polizeimacht extrem ausgeweitet. „Die Änderungen im Polizeigesetz folgen einer allgemeinen politischen Entwicklung“, sagt Florian Becker. „Unter dem Strich passt man das Gesetz an moderne Anforderungen an.“ Demnach werden die Vorschriften eher ausdifferenziert. „Die Macht des Staates wird also nicht ausgeweitet.“ Aber er erklärt auch: Bei Maßnahmen wie Kontrollen an Ausfallstraßen gehe es um abstrakte Gefahrenabwehr, weil gar keine regelmäßige konkrete Gefahr bestehe. So äußern sich die Gewerkschaften zum neuen Polizeigesetz: Für die Polizeigewerkschaften sind Hilfsmittel wie Bodycams und Taser probate Mittel, um Gewalt gegen Beamte zu mindern. Außerdem loben sie die Möglichkeit, zur Gefahrenabwehr eine Blutprobe zu erzwingen: „Es gibt immer wieder Fälle, in denen Polizeibeamte in einen körperlichen Nahkontakt mit mutmaßlich infizierten Personen geraten“, sagt Torsten Gronau, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Schnelle Gewissheit sei angebracht. Dass die Debatten längst nicht über alle Details geführt sind, zeigte eine von den Jamaika-Fraktionen im Innen- und Rechtsausschuss im September eingeführte Änderung: Sie wollen strengere Regeln für V-Leute, also aus dem kriminellen Milieu rekrutierte Informationsgeber. Sven Neumann von der GdP begrüßt darüber hinaus die angestrebte Standardregelung für verdeckte Ermittler. Das werte Schleswig-Holstein strategisch in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern auf. Im Detail ausgearbeitet werden Regelungen zu Datenschutz und Telekommunikationsüberwachung bei „dringender Gefahr“ – mehr Online-Durchsuchungen hatten Grüne und FDP verhindert. Lesen Sie auch: Silvester 2020 in Schleswig-Holstein: Böller explodierte in der Hand, Brände, uvm. Ansturm auf Corona-Impfung in Schleswig-Holstein: Erste Termine schon ausgebucht Wie Corona den Schulalltag in Schleswig-Holstein verändert Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein Weitere Informationen zum Coronavirus erhalten Sie auf unserer Themenseite. Neues Polizeigesetz für Schleswig-Holstein: Wie geht es weiter? Wie geht es weiter? Nachdem der Gesetzentwurf im Sommer 2020 in erster Lesung im Landtag eingebracht worden war, wird er nun im Innen- und Rechtsausschuss beraten. Zuletzt stand die Novelle im November auf der Tagesordnung. Im Lauf der nächsten Monate könnte das neue Gesetz dann in zweiter Lesung endgültig vom Parlament beschlossen werden – vorausgesetzt die regierungstragenden Fraktionen von CDU, FDP und Grünen können sich in allen Punkten einigen. Das Innenministerium gibt sich in dieser Phase zurückhaltend. „Der Entwurf trägt den Leitgedanken des Ausgleichs von Sicherheit und Freiheit“, sagt Ministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) und spricht wie Vorgänger Hans-Joachim Grote von „moderaten Änderungen“. Aber auch die benötigen ihre Zeit.