Betriebe in Schleswig-Holstein in Not: Einschätzungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und Nordmetall

Soforthilfe, Zuschüsse und zinsgünstige Darlehen: Um den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Wirtschaft entgegenzusteuern, hat die Politik viel Geld in die Hand genommen. Trotzdem stehen viele Unternehmen auf wackeligen Füßen, weil die Konsumlaune im Inland noch verhalten ist und die unterschiedliche Infektionslage auf der Welt für Unsicherheiten sorgt. „Wir sehen, dass die Zahl der Unternehmenskredite gestiegen sind, das ist eigentlich untypisch für eine Rezession und deutet darauf hin, dass viele darauf setzen, dass sie die Zeit der Krise überbrücken können“, sagt Prof. Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). „Solange eine Krise nicht zu lange anhält, kann das klappen.“ Firmen geht das Geld aus: Auch die Soforthilfen hätten geholfen. Wenn aber irgendwann auch das Eigenkapital aufgezehrt sei, könnten die Firmen ins Wanken geraten. Laut einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer Schleswig-Holstein ist das Eigenkapital in jedem zweiten Unternehmen im Land seit Ausbruch der Corona-Krise gesunken. Mehr als ein Drittel kämpft nach eigenen Aussagen mit Liquiditätsengpässen. „Entscheidend wird sein, die Eigenkapitalbasis der Unternehmen im Sommer und Herbst zu stärken“, so Nils Thoralf Jarck von der IHK. Auch der Unternehmensverband Nord weist darauf hin, dass einige Hilfen zurückgezahlt werden müssen und sich so das Problem der Verschuldung nur in die Zukunft verlagere. Eigenkapital stärkende Zuschüsse seien in der Situation der einzige Ausweg. Kennen Sie schon die Post aus dem Newsroom? Den kostenfreien Newsletter über die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein versenden wir Mo-Fr ab 17 Uhr. Hier können Sie sich für unser Mailing anmelden. Weiterer Newsletter: Kiel mittendrin. Über das Leben in der Landeshauptstadt. Verpassen Sie keine Neuigkeit mehr. Versand: Jeden Mittwoch. Hier geht es zur kostenfreien Anmeldung. Sie interessieren sich für Holstein Kiel? Dann melden Sie sich hier für den Newsletter " Holstein Kiel - Die Woche " kostenfrei an. Versand: jeden Freitag, 11.30 Uhr. Die Lage müsste sich weltweit stabilisieren: Laut einer Blitzumfrage der IHK fühlen sich im Gastgewerbe 26,5 Prozent und in der Reisewirtschaft 42,9 Prozent dem Risiko einer Insolvenz ausgesetzt. „Wenn es in Deutschland keine zweite Welle gibt, hat der Tourismus das Schlimmste schon hinter sich“, glaubt Boysen-Hogrefe. Bei exportorientierten Unternehmen aus der Industrie sei dagegen noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Etwa für Werften, Autozulieferer oder Maschinenbauer sei die Entwicklung im internationalen Umfeld maßgeblich – beispielsweise der Verlauf der Infektionen in den USA. „Wenn sich die Lage weltweit nicht stabilisiert, kann das Insolvenzen beschleunigen.“ Nach Angaben von Nordmetall konnte in der Metall- und Elektro-Industrie durch den maßvollen Tarifvertrag, die erleichterte Kurzarbeit und höchst unterschiedliche Auftragslagen bislang eine Pleitewelle verhindert werden. „Wenn aber die Auftragslage so drastisch einbricht wie im Flugzeugbau, stoßen auch staatliche Hilfen an ihre Grenzen“, sagt Nordmetall-Geschäftsführer Nico Fickinger. Trotzdem bleibt er zuversichtlich: „Wenn es zu keinem weiteren längeren Lockdown kommt, könnte uns eine größere Insolvenzwelle erspart bleiben." Zweite Welle würde für viele das Aus bedeuten: In der Kultur- und Veranstaltungsbranche werde es einen kompletten Neuzuschnitt geben, prognostiziert Boysen-Hogrefe. „Eine zweite Welle würden viele Unternehmen wohl nicht überleben.“ Sehr gefährdet sieht Oliver Ollrogge von der Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel zudem Kinos, Messebauer, Friseure und Einzelhändler. Zwar sei Schleswig-Holstein durch seine mittelständisch geprägte Wirtschaft von Konjunkturschwankungen stets etwas weniger stark betroffen als andere Bundesländer, sagt Boysen-Hogrefe. „Wenn Bayern und Baden-Württemberg husten, erwischt uns der Schnupfen aber auch.“ Nicht nur wegen des Länderfinanzausgleichs, sondern weil weniger Urlauber aus dem Süden kämen. Lesen Sie auch: Pleitewelle im Herbst erwartet Konsum erst eingeschränkt, jetzt unattraktiv: Insgesamt hat sich die Corona-Pandemie kräftig auf die privaten Konsumausgaben ausgewirkt. Das IfW rechnet nach dem Rückgang um 3,2 Prozent im ersten Quartal – dem bislang größten Minus im vereinten Deutschland – mit einem noch größeren Rückgang für das zweite Quartal von 13 Prozent. Allein im ersten Halbjahr habe sich so Kaufkraft in Höhe von fast 80 Milliarden Euro zurückgestaut. „Konsum war zeitweise durch Schließungen sehr eingeschränkt möglich. Jetzt macht er den Menschen nicht so viel Spaß.“ Zudem führten mangelnde Einkommensperspektiven dazu, dass sehr vorsichtig Geld ausgegeben werde. Die Corona-Krise hat den Arbeitsmarkt massiv getroffen. Viele Menschen befinden sich in Kurzarbeit, das IfW befürchtet, dass in der Spitze bundesweit eine Million Jobs verloren gehen. „Wenn die Arbeitslosigkeit ansteigt, wird es wieder mehr Insolvenzen in Deutschland geben, da die Personen bei weiterhin hohen Kosten über weniger Geld verfügen“, so Ollrogge. Noch lag die Zahl der Privatinsolvenzen in Schleswig-Holstein mit 160 Fällen im April und 190 im März unter dem Vorjahresniveau. Crifbürgel erwartet hier erst im letzten Quartal 2020 und im kommenden Jahr ein Hochschnellen der Zahlen. Gerechnet wird für dieses Jahr mit 100 000 Privatpleiten in Deutschland, das wären gut 13 000 mehr als 2019. Lesen Sie auch: Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein Corona-Tests: Alles andere als sicher Diese Lockerungen gelten ab 20. Juli in SH Hörnbad öffnet Freizeitbereich: Das müssen Besucher wissen Noch keine Hilfen: Muss Aida Kreuzfahrtschiffe verkaufen? Brauche ich ein Hygienekonzept für meine Feier? Kreis Rendsburg-Eckernförde bittet Reiserückkehrer zu weiteren Test Reiserückkehrer aus der Türkei: Neuer Corona-Fall in Neumünster App soll zeigen, wo es in St. Peter-Ording voll ist Bekommt Holstein Kiel ein Zuschauerproblem? Darf das Kind mit Schnupfen in die Kita? 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