Pleitewelle befürchtet: Handel in SH schickt Brandbrief an Angela Merkel

Weil es für den Einzelhandel im Norden „Fünf nach zwölf“ ist, hat der Verband Brandbriefe an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) geschrieben, wie Dierk Böckenholt, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Nord, berichtet. Darin weist er auf die dramatische Lage und die bevorstehende Pleitewelle hin. Und auch die Landesregierung in Schleswig-Holstein bekommt Kritik ab. In dem Brandbrief heißt es: „Der Bundesfinanzminister kündigt vollmundig und ohne Unterlass Milliarden Staatshilfen an – ohne Wirkung für den Einzelhandel!“ Eindringlich bittet der Verband Merkel, darauf hinzuwirken, dass Vizekanzler Scholz für die Bundesregierung das Wort einlöse und die Finanzhilfen unkompliziert, schnell und auch tatsächlich im Handel ankommen. Fehlt in der Corona-Krise der Blick für die Handelsbranche? „Wenn die staatlichen Hilfen erst Ende März fließen, wie es die Länderchefs angekündigt haben, kann das Geld in vielen Fällen gleich an die Insolvenzverwalter fließen“, sagt Böckenholt und fügt hinzu: „Der da Stacheldraht in der Hose hat, ist unser Finanzminister.“ Doch die Kritik macht auch vor dem Land nicht halt: „Unser Wirtschaftsminister hat keinen Blick für die Branche, auch wenn er es sagt“, fügt Böckenholt hinzu. Die Landesregierung in Schleswig-Holstein könne sehr wohl eigene Hilfspakete schnüren, in Mecklenburg-Vorpommern tue sie das auch. „Aber hier beschränkt sich der Wirtschaftsminister darauf, die Bundeshilfen weiterzuleiten.“ Das reiche nicht aus. Frühjahrsmode schon lange bestellt: Nach einer Verbandsumfrage sehen 64 Prozent der Innenstadthändler ihre Existenz bedroht. Am schlimmsten sei die Lage für Läden mit Schuhen oder Lederwaren mit 82 und Bekleidung und Textilien mit 76 Prozent. 2020 habe der Einzelhandel – ohne den Lebensmittelhandel – im Lockdown 36 Milliarden Euro Umsatzverluste erlitten. Den dramatischen Ausführungen ihres Verbandes pflichten viele Einzelhändler bei. So sagt Knud Hansen von Intersport Knudsen aus Kiel: „Die Frühjahrsmode, die vor sechs Monaten bestellt wurde, steht vor der Tür – und die ist bezahlt.“ Wenn die Hilfen erst am Ende des ersten Quartals ausgezahlt würden, sei das zu spät. „Der Lockdown hat uns mit voller Wucht getroffen“, berichtet Christian Bode vom Familienunternehmen Schuh Bode aus Wentorf. Rücklagen sind in der Corona-Krise schon aufgebraucht: Jetzt müsse man Reserven aufbrauchen, denn: „Ich habe noch von keinem Einzelhändler gehört, der wirklich Abschlagszahlungen erhalten hat.“ Und Silke Aumann, die an der Holtenauer Straße ein Modegeschäft betreibt, sagt: „Meine Rücklagen sind schon aufgebraucht. Mein Steuerberater und ich reden täglich darüber, was ich eigentlich für Hilfen erwarten kann – wir wissen es nicht.“ Sie müsse ihre Altersvorsorge angreifen. Doch auch größere Einzelhändler trifft das, wie Tilo Jan Eggemann aus Schönkirchen sagt, der im Norden 14 Modegeschäfte betreibt: „Für November und Dezember bekommen wir gar keine Hilfen, erst für Januar wahrscheinlich. Doch möglicherweise liegen wir noch über der Schwelle für die Umsatzeinbrüche, ab der Hilfe gezahlt wird.“ Die Regale aber seien voll mit Ware. Lesen Sie auch: Corona-Bekämpfungsverordnung beschlossen: Garg informiert über verschärfte Corona-Regeln Schulen und Kitas im Lockdown: Das müssen Eltern jetzt wissen Aktuelle Zahlen und Grafiken: So entwickelt sich das Coronavirus Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein Weitere Informationen zum Coronavirus erhalten Sie auf unserer Themenseite. Kritik: Viel zu hohe Hürden für Corona-Hilfen: Der Handelsverband rechnet vor, dass bis Ende Dezember nur 90 Millionen Euro Staatshilfen an den Handel gezahlt worden seien – das seien rechnerisch 0,25 Prozent des Umsatzverlustes. Böckenholt: „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Finanzminister hat dem Einzelhandel elf Milliarden Euro monatlich in Aussicht gestellt.“ Die Hürden seien aber so hoch, dass viele Händler Hilfe nicht beantragen könnten. Nur wenn die elf Milliarden Euro in den nächsten Wochen ausgezahlt würden, könnte es reichen. Die Fixkosten im Handel beliefen sich auf zwölf Milliarden Euro.