Praktikumssuche während Corona belastet Schüler und Eltern in SH

Die Tochter von Stefan Grewe aus Mielkendorf besucht die neunte Klasse einer Gemeinschaftsschule, für Anfang Dezember ist dort die Praktikumsphase vorgesehen. Doch obwohl sie seit August auf der Suche ist, hat sie nur Absagen bekommen. „Inzwischen sind es bestimmt schon 50 Stück“, sagt ihr Vater. Stadtverwaltungen, Versicherungen und Banken hätten abgewinkt. Weil sich viel Personal im Homeoffice befinde, gebe es keine Möglichkeit, Praktikanten angemessen zu betreuen. Auch bei Floristen und Kitas hatte die Schülerin kein Glück. Das Bildungsministerium in Kiel will die Praktika dennoch nicht ausfallen lassen: Sie seien schließlich ein wichtiger Baustein beruflicher Orientierung. Absagen für eine volle Jahrgangsstufe soll es nur dann geben, wenn ein Quarantänefall vorliegt oder schwerwiegende andere Gründe dafür sprechen. In den Fällen, in denen kein Praktikum absolviert werden könne, sei es wichtige, alternative Angebote zu machen – möglichst mit Schwerpunkt in der beruflichen Orientierung. „Eine Gemeinschaftsschule im Kreis Herzogtum Lauenburg hat so für die Schüler im neunten Jahrgang, die für das aktuelle Praktikum keinen Platz haben, zusätzliche Berufsfelderprobung und Werkstattunterricht organisiert“, sagt eine Sprecherin. Dort sei ein Drittel des Jahrgangs betroffen. Land vergibt selbst keine Plätze: Was den Vater besonderes ärgert: „Unser Bildungsministerium drängt auf die Durchführung“, seine Erfahrung aber sei, dass das Land als großer Arbeitgeber selbst keine Schülerpraktikanten annehme – also von Unternehmen etwas verlange, das es nicht leisten könne. „Grundsätzlich“, sagt eine Sprecherin, nehme das Land und auch das Ministerium schon Praktikanten an. Aber: „Zurzeit sind zahlreiche Mitarbeiter im Homeoffice, sodass eine Betreuung insbesondere von Schülerpraktikanten, die mehr Unterstützung benötigen, schwierig ist.“ Praktikum erhöht die Kontakte: Dass das Ministerium grundsätzlich auf Praktika beharrt, findet Grewe aber nicht nur in Anbetracht der raren Plätze merkwürdig, denn: In der Schule bewegen sich die Jugendlichen in Kohorten. Sobald sich die Schüler im Praktikum auf Betriebe mit verschiedenen Hygienekonzepten verteilen, erhöhe sich dort ihr Spektrum an Kontakten und das Infektionsrisiko. Kehrten sie nach der Praxisphase in ihre Klassen zurück, so der Vater, steigere das die Gefahr, dass Infektionen von außerhalb in den Schulkosmos getragen würden.“ Das Ministerium entgegnet: Wie in der Schule seien die Verhaltensregeln auch im Praktikum von großer Bedeutung. Auch eine Risiko für Unternehmen: Der Unternehmensverband Nord räumt zwar ein, dass Praktika für die berufliche Orientierung das wichtigste Instrument seien. „Aber leider macht die Pandemie aktuell Praktika fast unmöglich“, sagt UV-Nord-Sprecher Sebastian Schulze. Die Unternehmen hätten aufwendige Vorbereitungen getroffen, um Kunden und Mitarbeiter schützen: „Sich jetzt zusätzlich noch externe Praktikanten ins Haus zu holen, birgt für viele Betriebe ein zu großes Risiko.“ Lesen Sie auch: Kommentar von Anne Holbach – Praktika lieber verschieben Plätze in Gastronomie und Tourismus unmöglich: Auch Thore Hansen von der Industrie- und Handelskammer zu Kiel erreichen Hinweise, dass es für Schüler zurzeit schwierig ist, Praktikumsplätze zu finden. „Aber es gibt branchenspezifisch starke Unterschiede“, sagt der Geschäftsbereichsleiter Aus- und Weiterbildung der IHK: Manche Wirtschaftszweige konnten schnell Lösungen für Praktikanten finden und sie aus dem Homeoffice in den betrieblichen Alltag integrieren.“ In anderen Branchen wie Gastronomie oder Tourismus sei es faktisch unmöglich, ein Praktikum sinnvoll zu absolvieren. Nach eigenen Angaben gewinnen drei Viertel der Ausbildungsbetriebe ihren Nachwuchs mithilfe von Betriebspraktika. Die IHK appelliert an die Betriebe: „Ermöglichen Sie den Schülern diese Berufsorientierung, wo es unter Einhaltung der Sicherheits- und Hygieneregeln verantwortungsbewusst und praktikabel möglich ist.“ So reagieren die Betriebe auf Anfragen: Eine Umfrage unserer Zeitung zeigt ein durchwachsenes Bild. Die Werkstattkette ATU etwa bietet weiterhin Praktika an, aktuell allerdings nur eingeschränkt und mit einem Schwerpunkt auf Lehrstellen-Bewerber. Der Caravan-Hersteller Hobby bietet weiter für potenzielle Auszubildende in der Lehrwerkstatt einen „Probetag“ an. Im kaufmännischen Bereich hingegen gibt es keine Plätze. Die B+M Informatik AG aus Melsdorf hingegen bietet aktuell keine Praktika an. Da seit Beginn der Corona-Pandemie die meisten Mitarbeiter mobil von zu Hause aus arbeiteten, könne man „bis auf Weiteres“ keine adäquate Betreuung sicherstellen. Auf Stopp stehen die Zeichen auch bei der Kieler Werbeagentur Magent, bei Ibak – Marktführer für Kanal-Inspektionssysteme – und bei der Förde Sparkasse. Aktuell nimmt das Institut erst wieder Bewerbungen ab dem zweiten Quartal 2021 an. „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagt Sprecher André Santen. Mit dem Schritt wolle man dazu beitragen, das Risiko für eine Ansteckung zu minimieren – „natürlich auch, um unseren Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten“. Die Kieler Volksbank geht einen anderen Weg. „Nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Analyse haben wir uns entschieden, weiterhin Praktikumsplätze anzubieten“, sagt Ausbildungsleiterin Meike Bajus und fügt hinzu: „Immer mit der verantwortungsvollen Sensibilisierung für die geltenden Verhaltensregeln und Hygienevorschriften.“ Zu den Unternehmen, die trotz Corona-Modus Praktika vergeben gehört auch Gosch & Schlüter, Spezialist für Elektro- und Antriebstechnik mit Sitz in Kiel. Lockdown-Regeln: Geht Schleswig-Holstein eigene Wege? Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein An diesen Schulen und Kitas gibt es Corona-Fälle Aktuelle Statistik: So viele Corona-Infizierte gibt es in Schleswig-Holstein Weitere Informationen zum Coronavirus erhalten Sie auf unserer Themenseite. Hochschulen passen Regeln an: Mit maximaler Flexibilität reagieren die Hochschulen auf das geschrumpfte Angebot an Praktika. „Die Fakultäten der Kieler Universität haben Ausnahmeregelungen erlassen und größtenteils individuelle Lösungen für die Studierenden gefunden“, sagt CAU-Sprecherin Claudia Eulitz. Pragmatismus signalisiert auch FH-Kollegin Frauke Schäfer: „Das Spektrum reicht von Sonderregelungen, die das Praktikum zu einem späteren Zeitpunkt im Studium erlauben, über individuelle Lösungen bis hin zur Schaffung von Praktikumsplätzen an der Hochschule selbst.“ von Anne Holbach und Ulrich Metschies