Shopping in Schleswig-Holstein: Corona bremst Kauflaune aus

Der Einzelhandel in Schleswig-Holstein leidet in erheblichem Maße unter dem Lockdown: Der Umsatzeinbruch, quer über alle Branchen gerechnet, liege bei 30 Prozent, schätzt Mareike Petersen vom Handelsverband Nord. Für einzelne Geschäfte, die etwa vom Tourismus abhingen, könne der Umsatzverlust auch bei 90 Prozent liegen. Die Regeln, mit denen die Ausbreitung des Coronavirus eingedämmt werden sollen, führen dazu, dass deutlich immer weniger Menschen zum Einkaufen kommen. Der „Frequenzrückgang“ liege bei ungefähr 40 Prozent, so Petersen. Die Innenstädte treffe es besonders hart: In die Kieler Holstenstraße kamen zuletzt sogar nur noch die Hälfte der Passanten wie vor der Pandemie. 30 Prozent der Geschenke werden im November gekauft: Bereits vor dem eigentlichen Weihnachtsgeschäft, mit dem der Handel normalerweise den Löwenanteil seines Umsatzes macht, sind die Aussichten düster. In der Vergangenheit wurden bereits im November 30 Prozent aller Einkäufe erledigt, sagt Petersen. In diesem Jahr spricht sie von „Fehlanzeige“. Der Handel, der von den November-Hilfen des Bundes ausgeschlossen ist, weil die Geschäfte weiter öffnen dürfen, habe keine klare Perspektive. „Shopping ist ein Erlebnis, das auch an der Gastronomie hängt. Doch die liegt brach“, sagt auch Julia Körner von der IHK zu Kiel. „Und Appelle, die Menschen mögen zu Hause bleiben, sind aus Sicht des Handels nicht gerade hilfreich.“ Das Risiko einer weiteren Verschärfung der Auflagen für den Handel sieht auch Professor Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel: „Wenn der Eindruck erweckt wird, dass das Einkaufen zu riskant ist, wird die private Kaufzurückhaltung zu erheblichen Einbußen führen.“ Corona an Schulen: Erlass soll Quarantäne-Wirrwarr beenden Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein An diesen Schulen und Kitas gibt es Corona-Fälle Aktuelle Statistik: So viele Corona-Infizierte gibt es in Schleswig-Holstein Weitere Informationen zum Coronavirus erhalten Sie auf unserer Themenseite. Der Umsatzrückgang ist erheblich: „Unser größter Horror ist, dass man uns wieder dicht macht“, sagt Maria Neubrand vom Kieler Reiseshop am Walkerdamm. Nach dem dramatischen Einbruch im Sommer habe sich die Zahl der Kunden zwar wieder erholt, doch sei deutlich zu spüren, dass weniger Menschen in die Innenstadt kämen. Der Verlust an Laufkundschaft bereitet vielen Händlern Probleme: „Der Umsatzrückgang ist erheblich“, sagt Benjamin Vohs, Filialleiter der Buchhandlung Liesegang. Die Aesculap-Apotheke in der Holstenstraße meldet Erlösrückgänge von „gefühlt 50 Prozent.“ Beim Fotogeschäft Vico heißt es: „Die Unsicherheit ist riesengroß.“ In den Einkaufszentren sieht es nicht viel anders aus: „Wir wissen noch nicht, wo es hingeht“, erklärt Harald Rottes von der Geschäftsführung des Citti-Parks. Immerhin ein Lichtblick: Der Rückgang bei Umsatz und Frequenzen sei im Citti-Park geringer, nach der ersten Woche des Lockdowns habe es eine Erholung gegeben. Dies könnte auch für Einkaufsstraßen in Wohngebieten gelten, wie der Holtenauer Straße in Kiel, so Körner. „Wenn die Mobilität nachlässt, kaufen die Menschen bei sich vor der Tür ein.“ In der Holstenstraße ist fast nichts los: Vor Ort, in der Kieler Holstenstraße, sind am Donnerstag nur wenige Käufer zu sehen. Die Sorge, mit der der Einzelhandel auf den so wichtigen Dezemberumsatz blickt, ist mit Händen zu greifen. Es ist ruhig in der Buchhandlung Liesegang. Zu ruhig. „Es ist ja eigentlich richtig, dass die Menschen zu Hause bleiben“, sagt Filialleiter Benjamin Vohs. „Aber uns tut das natürlich weh.“ Laufkundschaft, in normalen Zeiten ein wichtiger Umsatztreiber, gebe es so gut wie gar nicht mehr. Doch Corona-Not macht auch erfinderisch. Unter der Überschrift „Sicher und auf Abstand“ bietet Liesegang an jedem Donnerstagabend im Advent den „besonderen Weihnachtseinkauf an“. Bis zu 15 Kunden können – nach Anmeldung – zwischen 19 und 21 zum Stöbern vorbeikommen. Die Gastro-Angebote fehlen: Besonders schmerzhaft wirkt der Ausfall der Gastronomie – wichtiger Genussfaktor, um den Einkauf zum Erlebnis zu machen: „Es wird nicht mehr gebummelt“, sagt Sabine Hennecke, Inhaberin der „Füllhalter-Ecke“. Gemessen an den Rahmenbedingung sei sie mit dem November bislang gar nicht so unzufrieden, aber: „Nach 17 Uhr ist es hier tot.“ Noch ein weiterer Kundenmagnet fällt aus: „Wenn es keine Weihnachtsmärkte gibt, nehmen auch die Spontankäufe ab – die Menschen fühlen sich nicht mehr wohl“, sagt Julia Körner von der IHK zu Kiel. Aber auch aus schlichter Furcht vor Ansteckung kommen viele Kunden nur noch in die Innenstadt, wenn es aus ihrer Sicht Not tut. Click & Collect-Angebote können laufen: Das bekommen auch die City-Apotheken schmerzhaft zu spüren: „Die Menschen bevorzugen kurze Wege“, sagt Monika Hauschild, Leiterin der Aesculap-Apotheke in der Holstenstraße: „Wir hängen voll am Tropf der Fußgängerzone.“ Eine hohe Sensibilität der Kundschaft konstatiert auch Professor Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Die Passantenzahl sei schon vor dem Lockdown gesunken. „Die Menschen reagieren also schon auf die Diskussion und steigende Infektionszahlen, ohne behördliche Anordnungen abzuwarten.“ Er fürchtet, dass die Kunden den Handel weiter meiden. Doch was tun? „Click & Collect-Angebote können laufen“, sagt Körner. In Buchhandlungen etwa sei es verbreitet, dass Kunden zu Hause bestellen und die Ware dann abholen. Das könnten durchaus mehr Händler einführen, findet sie. Mareike Petersen vom Handelsverband meint, es wäre hilfreich, die Topseller gleich im Eingang aufzustellen, dann könnten Menschen, die nicht lang in Geschäfte gehen wollen, gleich zuschlagen. Geschäfte könnten Kunden auch damit anlocken, dass sie Zeitfenster für Kunden einrichten. "Das war schon fast eine Schockstarre": Weihnachten hat auch viel mit Flair zu tun. Deshalb empfiehlt die IHK-Expertin dringend, Weihnachtsdekoration aufzubauen, damit wenigstens etwas Stimmung aufkomme. So könnten Standortgemeinschaften eine gemeinsame Deko aufbauen. Und vielleicht dürften auch Schausteller über ihre Theke verkaufen: „Der Geruch von Schmalzkuchen allein kann ja schon Kunden anlocken, selbst wenn Alkohol tabu ist.“ Im Citti-Park war der Rückgang direkt nach dem Lockdown „unheimlich groß“, sagt Harald Rottes von der Geschäftsführung. „Das war schon fast eine Schockstarre. Doch in der zweiten Woche hat es sich etwas erholt. Nahversorgung, Elektrohandel und Wohnaccesoires laufen einigermaßen“, berichtet er. Rottes betont, es sei wichtig, trotz allem optimistisch zu bleiben: „Wir lassen die Köpfe nicht hängen.“ Kommentar: F. Hanauer: Angst geht nicht bummeln Die Innenstädte müssen attraktiver werden: Corona verstärke die Probleme der Innenstadt wie ein Brennglas, sagt Alexander Blažek vom Eigentümerverband Haus & Grund. „Die Innenstädte müssen attraktiver werden. Dann kommen die Menschen auch wieder in die Stadt. Dafür müssen die Städte jetzt den öffentlichen Raum zum Magneten umgestalten.“ „Die Unsicherheit ist groß. Das Wort Planung existiert derzeit für uns praktisch nicht“, sagt Carolin Kirchwehm vom Foto-Spezialisten Vico. Auch bei ihr ist es ruhiger als zu normalen Zeiten, „aber die Kunden kommen.“ Acht Mitarbeiter arbeiten im Geschäft am Europaplatz – alle mit zehn Prozent Kurzarbeit. Doch auf kuriose Weise ist Corona auch Umsatztreiber: „So viel Videotechnik wie in diesem Jahr haben wir noch nie verkauft. So wie die Vico-Chefin hat auch Maria Neubrand vom „Reiseshop“ am Walkerdamm. das Weihnachtsgeschäft noch längst nicht abgeschrieben: „Die meisten Kunden kommen ganz gezielt zu uns.“ Der „größte Horror wäre es“, sagt sie, „wenn man uns den Laden nochmal dicht macht.“ Autoren: Ulrich Metschies und Florian Hanauer