Wirtschaft in Schleswig-Holstein: Handwerk rechnet mit Einbrüchen

Haben Sie gewusst, was Sie erwartet, als Sie im Mai 2019 das Amt übernommen haben? Ralf Stamer: Eigentlich dachte ich das, weil ich vorher schon Vizepräsident war. Aber dann habe ich als neuer Präsident so viele Termine wahrgenommen, dass ich schon befürchten musste, nicht mehr zu meinem eigentlichen Job als Inhaber eines Zimmereibetriebs zu kommen. Schließlich hatten wir bis Februar 2020 Vollauslastung in weiten Teilen des Handwerks. Doch dann kam die Pandemie? Ja, genau. Handwerke, die ihre Arbeit nicht mehr ausüben konnten, hat die Pandemie gleich am schwersten getroffen. Denken Sie an die Friseure, die Kosmetiker, aber auch an die Snack-Bereiche bei Bäckern, Konditoren und Fleischern. Doch viele Betriebe waren auch indirekt betroffen. Durch die Schulschließung etwa fielen Mitarbeiter aus. Und es kam zu Lieferengpässen. Wenn man auf die Lieferung von Waren aus dem Ausland angewiesen war, wurde es im Frühjahr schwierig. Hat sich die Lage inzwischen einigermaßen normalisiert? Ich fürchte, es wird noch eine Delle im Baubereich geben. Die Betriebe hatten 2020 noch viele Aufträge aus dem Vorjahr. Während der Pandemie hat sich die Bearbeitung von Bauanträgen in Schleswig-Holstein verzögert. Wenn die Genehmigungen jetzt später kommen, wird sich das auswirken. Eine Delle wird es auch für die Betriebe geben, die als Zulieferer für die Industrie tätig sind, zum Beispiel im Bereich Luftfahrt, Automobilindustrie oder Schiffbau. Insbesondere, wenn die Industrieunternehmen schwächeln, wird es für unsere Betriebe als Zulieferer schwierig. Und auch das Nahrungsmittelgewerbe macht schwere Zeiten durch. Wo lief es denn etwas besser im Handwerk? Das Handwerk ist insgesamt besser durch die Krise gekommen als die meisten anderen Wirtschaftsbereiche. Am deutlichsten ist das sicherlich im Baubereich. Und zwar nicht nur bei den Maurern, Zimmerern und Dachdeckern, sondern auch in den Ausbauhandwerken, zum Beispiel bei den Elektroinstallateuren, Metallbauern, Sanitär- und Heizungsbetrieben. Die waren weniger von der Krise betroffen. Haben Privatleute den Lockdown genutzt, um Handwerker zu beauftragen? Ja, das haben sie, obwohl das Bild natürlich nicht einheitlich ist. Im ersten Lockdown waren ja zunächst einmal die Baumärkte voll. Viele haben in ihr Eigenheim investiert. Handwerker werden ja schon seit Jahren vermehrt beauftragt, weil Energie immer teurer wird und es für gespartes Geld keine Zinsen gibt. Ein wenig fällt auf, dass die Schwarzarbeit nicht mehr so eine große Rolle zu spielen scheint wie in den 1990er-Jahren. Diese „dunkle Seite“ des Handwerks gibt es immer noch, aber ich höre weniger Klagen. Wichtig ist mir, dass jeder Kunde unbesorgt Handwerker beauftragen kann. Alle unsere Betriebe befolgen die Hygieneregeln und schützen ihre Kunden schon im eigenen Interesse. Wir wollen, dass unsere Kunden und unsere Mitarbeiter gesund bleiben. Und das schaffen wir auch. Wie lief es mit den Azubis? Da haben wir das Jahr extrem gut hinbekommen. Im Mai lagen die Zahlen noch bei minus 25 Prozent, jetzt sind es minus sechs Prozent geworden – ein relativ geringer Einbruch. Aber: Auch in den Bereichen, in denen es gut läuft, sind nicht alle Ausbildungsplätze besetzt worden. Woran liegt das? Vor allem daran, dass die Berufsorientierung im ersten Lockdown nicht stattfinden konnte. Wir haben schnell auf digitale Angebote umgestellt, aber alles ließ sich nicht ersetzen. Vor allem mussten die jungen Menschen für die Nutzung der digitalen Angebote mehr Eigeninitiative aufbringen. Sie hätten sich informieren können, wurden aber nicht „abgeholt“. Dazu kommt: Praktika sind die Haupt-Informationsquelle bei der Berufswahl, und die waren nicht oder nur eingeschränkt möglich. Trotzdem sind wir stolz darauf, dass wir so viele Ausbildungsplätze anbieten konnten. Die Schulabgänger, die noch keinen Platz haben, müssen die eigentlich bis ins nächste Jahr warten? Auch jetzt ist es nicht zu spät, eine Ausbildung zu beginnen. Wer jetzt anfängt, hat zwar vier Monate verloren, aber auf eine Ausbildungsdauer von drei oder dreieinhalb Jahren bezogen. Da muss man sich anstrengen, aber es ist ohne Weiteres möglich. Das Ausbildungsjahr muss nicht zum 1. August oder 1. September beginnen. Da richten wir uns auch an Studenten, die das Semester bisher nur per Video erlebt haben und jetzt vielleicht doch umsatteln wollen. Ist der zweite Lockdown eigentlich anders als der erste? Ich hatte im Sommer noch gedacht, dass wir durchgekommen sind. Viele wurden auch etwas nachlässiger. Doch das hat sich ja geändert. Und jetzt haben wir eine sehr lange Durststrecke, wenn der Lockdown eventuell noch länger andauert. In unserem Kammerbezirk haben wir 21.000 Betriebe. Und wir als Handwerkskammer hatten ab Anfang März etwa 12.000 Anrufe von Betrieben, die sich erkundigt haben, was sie noch dürfen und was nicht, welche Hilfen es gibt. Das ist jetzt etwas einfacher, weil viele Formulierungen in der Verordnung der Landesregierung bekannt sind. Im ersten Lockdown gab es auch relativ schnell Hilfen. Lesen Sie auch: Kieler Ökonom befürchtet viele Arbeitsplatzverluste Das ist nicht unbedingt ein Aushängeschild für die Politik. Man muss wirklich anerkennen, dass die Landesregierung schnell gehandelt hat und sich auch beim Bund immer für unsere Belange einsetzt. Aber es wird noch sehr lange dauern, bis überhaupt Förderanträge beim Bund gestellt werden können. Wir hoffen, dass unsere Mitglieder durchhalten. Was wünschen Sie sich für 2021? Die Pandemie hat gezeigt, dass wir in der Gesellschaft mehr füreinander da sein müssen. Und als Präsident möchte ich erreichen, dass die Ausbildung im Handwerk die gleiche Wertschätzung erhält wie ein Studium. Wir bieten im Handwerk eine gute Ausbildung, super Beschäftigungsmöglichkeiten und reichlich Aufstiegsmöglichkeiten – von der Lehre bis zum Meister. Das rufe ich den jungen Leuten zu, aber auch ihren Eltern.