Wirtschaft in der Krise: Wie riskant sind die Corona-Hilfen?

Die Deutschen werden am Jahresende sechs Prozent ärmer durch die Krise sein, während China nur auf minus drei Prozent käme, erklärte Gabriel Felbermayr, der Chef des Kieler Instituts für Wirtschaftsforschung. Nicht immer hält Felbermayr die politischen Maßnahmen der Bundesregierung für geeignet. „Uns irritiert, dass man mit Konjunkturpolitik versucht, langfristige Weichen zu stellen“, kritisiert er mit Blick auf die Förderung ausschließlich von Elektroautos. „Man sollte nicht an einzelne Branchen denken, sondern technologieoffen sein.“ Er eröffnete mit einer Bestandsaufnahme die Diskussionsrunde, die im Fleet 7, dem Coworking-Space in der Kieler Innenstadt, ablief – übrigens unter strengen Regeln, wie der Maskenpflicht beim Betreten des Gebäudes und großen Sitzabständen im Saal. Wir können das Schrumpfen nicht auslassen: „Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, das würden wir nicht gut finden“, stellt Felbermayr klar. „Es gibt eines massive Insolvenzverschleppung. Und wenn es in den Bundestagswahlkampf geht, fürchten wir, dass die Aussetzung noch einmal verlängert wird.“ Die Ökonomen sähen nicht, was es bringe, das weiter zu verschieben. Felbermayr: „Wenn wir wollen, dass Branchen wachsen, dann können wir nicht das Schrumpfen nicht zulassen.“ Unter der Moderation der FDP-Bundestagsabgeordneten Gyde Jensen musste Bernd Buchholz da widersprechen. „Als liberaler Minister macht man an vielen Stellen Sachen, die man nicht gerne tut, zum Beispiel als Tourismusminister die Wirtschaft einzuschränken.“ Es sei aber eine andere Situation, wenn der Staat entschieden habe, Unternehmen quasi zu schließen, die vor der Krise gesund waren. Durch staatliche Eingriffe könnten Existenzen dann möglicherweise auch gerettet werden. „Das muss aber auch einen klaren Endhaltepunkt haben“, so Buchholz. Subventionen sind schleichendes Gift: Und genau der fehle eben, kritisierte der FDP-Bundestagsabgeordnete und Haushaltsexperte Otto Fricke. „Subventionen sind ein schleichendes Gift.“ Er zog das Beispiel Verlängerung der Kurzarbeit heran: „Da sagen selbst viele Arbeitgeber: Gar nicht so schlecht. Da komme ich um Entlassungen herum. Und so lange genug Geld da ist, stimmen alle zu.“ Doch, er würde kleinen und mittleren Unternehmen Überbrückungsmöglichkeiten geben, aber damit sie die Chancen nutzen und etwa neue Absatzmöglichkeiten finden könnten. Doch wie werden sich Geschäftsmodelle in Zukunft entwickeln, fragte ein Bäckermeister aus dem Publikum, der mit Einbrüchen von neun bis zehn Prozent kämpft. Das Bäckerhandwerk sei ja noch relativ stabil, sagte Felbermayr. „Der Run auf die Innenstädte aber wird in den nächsten zwei Jahren schwierig sein“, so der Ökonom. Buchholz: „Der Versandhandel wächst eben, dass kann auch ich den Händlern nicht ersparen. Da werden sich alle bewegen müssen.“ Wenn das so sei, so der Bäcker, dann werde er lieber einen Lieferdienst mit dem Fahrrad starten, als eine neue Filiale aufzumachen. Schon heute ist der Drang groß, ein Stadion zu besuchen: Buchholz berichtete von einem Veranstaltungsunternehmen aus Schleswig-Holstein mit 120 Arbeitsplätzen, das jetzt in Zahlungsnot käme. „Wäre es wirklich richtig, ihnen nicht zu helfen und sie in die Pleite gehen zu lassen?“ Dabei stelle sich die Frage, wie Veranstaltungen künftig aussehen könnten. Er ist überzeugt, dass es diese weiter geben werde. „Haben wir da wirklich Zweifel? Schon heute ist doch der Drang da, ein Fußballstadion zu besuchen.“ Vielleicht könnten sich neue Geschäftsmöglichkeiten entwickeln, sagt Buchholz, etwa durch Lüftungsanlagen für geschlossene Veranstaltungsräume. „Ich habe gerade einen Kinobetreiber in Ratzeburg besucht. Die Luftumwälzung ist in Kinosälen nach den Vorschriften jetzt schon sehr groß. Dort gibt es eine 400-fach geringeres Ansteckungsrisiko als in einem Großraumbüro.“ Zu den notleidenden Branchen gehören beispielsweise aber auch die Gastronomie auf dem Land, der etwa die Familienfeiern fehlen. Natürlich, sagte Buchholz auf Nachfrage, gebe es auch für die Landgasthöfe Hilfen wie den Mittelstandsicherungsfonds. Doch die lange die Krise dauere, das könne er nicht vorhersagen, das müssten die Unternehmer für sich abschätzen. „Machen wir jetzt betreutes Unternehmertum?“, fragte der Wirtschaftsminister. Cool sein und als Gründer Risiken eingehen: Was die Corona-Krise mit den beruflichen Plänen junger Menschen mache, wollte Gyde Jensen von Otto Fricke wissen. Der fürchtet, dass viele sich jetzt nicht mehr in die Selbstständigkeit trauen werden. „Das Leben ist bequemer und einfacher, wenn man in den öffentlichen Dienst geht. Ich muss aber dafür sorgen, dass die Leute ,cool’ sind, die ein Risiko eingehen.“ Eine These, die für Zustimmung, aber auch für Widerspruch sorgte: „Das kann ich nicht bestätigen“, merkte aus dem Publikum Anke Rasmus von der Uni Kiel an. „Wir haben gerade jetzt viele Anfragen von Gründungsinteressierten. Die Krise scheint auch das zu beschleunigen.“ Kennen Sie schon die Post aus dem Newsroom? Den kostenfreien Newsletter über die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein versenden wir Mo-Fr ab 17 Uhr. Hier können Sie sich für unser Mailing anmelden. Weiterer Newsletter: Kiel mittendrin. Über das Leben in der Landeshauptstadt. Verpassen Sie keine Neuigkeit mehr. Versand: Jeden Mittwoch. Hier geht es zur kostenfreien Anmeldung. Sie interessieren sich für Holstein Kiel? Dann melden Sie sich hier für den Newsletter " Holstein Kiel - Die Woche " kostenfrei an. Versand: jeden Freitag, 11.30 Uhr. 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