Bewähung im Prozess in Bad Segeberg um Baustellen-Diebstahlserie

Eine manische Sucht nach Ordnung attestiert ein Gutachter dem Angeklagten Karl A. (Name geändert). Trotzdem sei der heute 23-Jährige voll schuldfähig. Hunderte Geräte von der Wasserwaage bis zum Bagger soll der Garten- und Landschaftsbauer im ganzen Kreis Segeberg zusammengeklaut haben – um sie dann zu sortieren. Das Jugendschöffengericht in Bad Segeberg gibt A. noch eine Chance. Die muss er sich aber verdienen. Gutachter sieht schwere Entwicklungsstörung beim Angeklagten: Von einer „hochdefizitären Kindheit“ sprach der psychiatrische Gutachter am dritten Verhandlungstag gegen Karl A. vor dem Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richter Tobias Kleimann. Karl A. war ohne Vater aufgewachsen, ständig umgezogen, hatte keine Freunde. Schon mit 13 Jahren war er von der Polizei erwischt worden, weil er Werkzeuge entwendet hatte. Nach Jahren in Heimen hatte er dann mit 18 den Hauptschulabschluss geschafft. Der Gutachter attestierte ihm eine schwere Entwicklungsstörung und eine manische Sucht nach Ruhe und Ordnung. Trotzdem sei er voll schuldfähig. Der Bewährungshelfer des Angeklagten ergänzte dazu aus seinen Erfahrungen: „Der Angeklagte suchte nur nach innerer Ordnung, dafür spricht sein akribisches Sortieren des Werkzeugs. Er sucht nach wie vor nach Orientierung, Ordnung und Zufriedenheit.“ Hunderte Maschinen von Baustellen im Kreis Segeberg gestohlen: Zwischen 2017 und 2020 soll A., der in der Nähe von Bad Segeberg einen Gala-Baubetrieb geführt hatte, über 100 Straftaten begangen haben. Die Anklageverlesung zur Prozesseröffnung dauerte Stunden. Demnach war A., immer wenn ihm auf Baustellen Kleinbagger und andere Geräte aufgefallen waren, in der folgenden Nacht wiedergekommen, um Container aufzubrechen oder gleich ganze Anhänger mit Arbeitsgeräten für den Tiefbau mitzunehmen. Aber nicht, um die Werkzeuge hinterher zu verkaufen, sondern um sie zu sortieren. So kamen unter anderem mehr als 50 Bohrmaschinen zusammen. Der Angeklagte hatte zu Prozessbeginn bereits ein umfangreiches Geständnis abgelegt, aber auch gesagt, dass viele der aufgelisteten Geräte nicht von ihm gestohlen worden seien. Lesen Sie auch Geldstrafe: Nazi-Parolen am Zob in Bad Segeberg gegrölt Prozess gegen Ex-Neversdorfer: Im Stress drohte, prügelte und trat er Zum jüngsten Verhandlungstag sollte der 23-Jährige in den Listen über das vermeintliche Diebesgut ankreuzen, was er nicht gestohlen habe, und markieren, welche Geräte im Internet verkauft wurden. Bei über 100 Tatorten und mehr als 500 Geräten, konnte sich A. jedoch nicht mehr an alles erinnern. Verkauft wurden lediglich minderwertige Geräte mit einem Schadenswert von 2000 Euro. Segeberger Gericht will Angeklagtem eine Chance geben: Nachdem das Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Liste akribisch durchgegangen waren, sollte das Verfahren endlich abgeschlossen werden. Für Richter Kleimann war es „das komplexeste Verfahren, das ich je gemacht habe“. Denn schon am 24. März 2021 stand Karl A. das erste Mal in der Sache vor Gericht. Da tauchten weitere Anklagevorwürfe auf, in die sich alle Beteiligten zunächst einarbeiten mussten. Zudem kam der Verdacht auf, dass A. schuldunfähig sein könnte, auch das musste geklärt werden. Nun sollte das Verfahren endlich zum Abschluss gebracht werden. Aber: „Wir müssen hier mit dem guten Gewissen rausgehen, dass wir uns nicht wieder sehen“, sagte Richter Kleimann zum Angeklagten und fragte nach dessen finanzieller Lage. A. wohnt seit einigen Monaten mit seiner neuen Lebensgefährtin in Ahrensburg und betreibt ein eigenes Gala-Bau-Geschäft. Die Auftragsbücher seien für mindestens drei Monate gefüllt, sagte A. Sein monatliches Firmeneinkommen schätzt er auf 5000 bis 10.000 Euro. Er habe inzwischen auch einen eigenen Bagger und Radlader gekauft. Mit dieser positiven Prognose konnte das Verfahren gegen den Angeklagten mit einer sogenannten Vorbewährung abgeschlossen werden, begründet das Gericht. Suche nach Eigentümern des Diebesguts schwierig: Ein Verfahren, das es so nur im Jugendstrafrecht gibt. A. hat nun die Auflage, sich bis zum Sommer straffrei zu verhalten und die Auflagen des Gerichts zu befolgen. Dazu gehören etwa regelmäßige Besuche beim Psychologen. Gelingt ihm das, wird ihn das Gericht zu einer zweijährigen Jugendstrafe verurteilen, die dann aber zur Bewährung ausgesetzt wird. Lesen Sie auch Prozess in Bad Segeberg: Brüderpaar baute jahrelang Cannabis an „Kaffeehaustrick“ öffnete die Tresortür: Bewährungsstrafe für Segeberger Ex-Soldaten Viel Arbeit kommt nun auf die Asservatenkammern zu. Denn alle gestohlenen Geräte, die dort eingelagert wurden, sollen möglichst an ihre Eigentümer zurückgegeben werden. Das könnte schwer werden – A. hatte von vielen Maschinen vorsichtshalber die Seriennummern entfernt.