Dahlmannschule übernimmt Patenschaft für Synagogen-Gedenkstätte in Bad Segeberg

Das Wetter war absolut nicht dafür gemacht, um im Freien eine Kerze anzuzünden. Doch Paul, knapp 18-jähriger Schüler aus dem Abiturjahrgang der Dahlmannschule, gab nicht auf. Am Ende brannte sie trotz Wind und Regen tatsächlich für eine kurze Zeit – lange genug, um eine wohl nicht nur in Bad Segeberg einmalige Verbindung symbolisch zu besiegeln. Das Gymnasium hat am Donnerstag ganz offiziell die Patenschaft für eine besondere Gedenkstätte übernommen: das kleine Areal an der Lübecker Straße 2, auf dem sich früher einmal die alte Synagoge der Stadt befand; und auf dem seit November vorigen Jahres ihre damalige Fassade in Form einer Stahlkonstruktion wiedererstanden ist. Jüdische Gemeinde erfreut über Kooperation: Die Jüdische Gemeinde Bad Segeberg freue sich besonders, gerade die Dahlmannschule für diese Kooperation gewonnen zu haben, erklärte ihr Vertreter Torben Miehle. „Sie war auch in der Vergangenheit immer sehr präsent, wenn es um Momente des Gedenkens ging.“ Dass der kleine feierliche Akt an einem 27. Januar stattfand, ist natürlich kein Zufall: Es ist der bundesweite Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, kurz: Holocaust-Gedenktag. Wegen der Pandemie waren aber an vielen Orten, auch in Bad Segeberg, geplante Veranstaltungen abgesagt worden. „Eigentlich wollten auch wir bei uns in der Schule etwas machen“, berichtete Lehrerin Charlotte Düwell, die sich in der Dahlmannschule besonders um dieses Thema kümmert und kürzlich bereits gemeinsam mit einer größeren Gruppe von Schülerinnen und Schülern die Verlegung so genannter Stolpersteine in der Fußgängerzone gestaltet hatte. Schulleiter und Stellvertreter vor Ort: Begleitet wurde sie auch zum Ortstermin in der Altstadt nicht nur von Direktor Timm Emser und seinem Stellvertreter Eike Schütze, sondern zusätzlich noch von sechs Schülerinnen und Schülern im Alter von 14 bis 17 Jahren aus den Jahrgängen Q2, 10 und 9, die sich auch außerhalb des regulären Unterrichts mit dem Schicksal jüdischer Menschen in der Stadt beschäftigen. Der Wahlpflichtkurs Darstellendes Spiel hatte bei der Stolperstein-Aktion eine beeindruckende Spielszene präsentiert. Neben Paul aus Q2 waren am Donnerstagvormittag auch seine Mitschülerinnen Luise, Lia, Lynn, Juliane und Miriam gekommen, um auf eine Ausstellung aufmerksam zu machen, in der es vor allem um die jüdische Familie Levy geht, deren Mitglieder von den Nazis vertrieben oder ermordet worden sind. Auf dem Gelände selbst sind dazu jetzt eine Reihe von Plakaten zu sehen, die sich jeweils mit einzelnen Lebenswegen beschäftigen. Texte daraus wurden am Vormittag in der Dahlmannschule über Lautsprecher verlesen – anstelle der eigentlich geplanten Aktion. Lesen Sie auch „Mädchen im Koffer“ berührte und erschütterte Besucher in Bad Segeberg Das Gymnasium werde die Gedenkstätte unter anderem als so genannten außerschulischen Lernort nutzen, erklärte Direktor Timm Emser. Von der Unterstufe an gebe es im Unterricht immer wieder inhaltliche Anknüpfungspunkte. „Bereits im 6. Jahrgang geht es um jüdisches Leben im Zusammenhang mit der Behandlung der Weltreligionen.“ Und das Thema Nationalsozialismus begleite die Schülerinnen und Schüler bis zum Abitur. Überlebende des Holocaust zu Gast: „Wir haben bei uns an der Schule auch immer wieder Überlebende des Holocaust zu Gast, die den Kindern und Jugendlichen als Zeitzeugen von ihren Erlebnissen berichten“, berichtete Emser. Eine solche Gedenkstätte wie die in Bad Segeberg zu erleben, sei besser als jeder Schulbesuch. Den Recherchen des Heimathistorikers Axel Winkler zufolge gilt es inzwischen als gesichert, dass elf Segeberger Juden im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurden. Seine Befreiung durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 markiert heute den Tag des offiziellen Gedenkens. Insgesamt müsse man wohl von rund einhundert Menschen jüdischen Glaubens ausgehen, die von der Gewaltpolitik der Nationalsozialisten direkt betroffen sind. „Über die Hälfte von ihnen wurde getötet.“ Lesen Sie auch 13 Stolpersteine von Gymnasiasten in Bad Segeberg verlegt Stadt investiert in Digitalisierung der Dahlmannschule Als eindrucksvolles Zeichen dafür, dass auch junge Menschen Anteil an den Ereignissen jener Zeit nähmen und sich mitverantwortlich fühlten, dass so etwas nie wieder passiert, würdigte Torben Miehle die Übernahme der Patenschaft. Als eine Art „Hausmeisterservice“ wollen aber weder er noch die Schule das Ganze missverstanden wissen. „Auch wenn es natürlich schön wäre, wenn Schülerinnen und Schüler gelegentlich mit nach dem Rechten sehen, ob alles in Ordnung ist, nichts beschädigt oder beschmiert worden ist.“ Aber Schnee schippen sollten die jungen Leute selbstverständlich nicht. Gedenken im kleinsten Kreis: Auch die Jüdische Gemeinde verzichte angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens auf größere Zusammenkünfte. „Wir treffen uns heute Abend nur im kleinsten Kreis und werden gemeinsam das Kaddisch sprechen.“ Es ist eines der wichtigsten Gebete im Judentum und dient im Wesentlichen der Lobpreisung Gottes. Die Bad Segeberger Gemeinde ist derzeit ohnehin gefühlsmäßig hin und hergerissen. Mit der Einweihung der Synagogen-Fassade am 9. November 2021, dem Jahrestag der Judenpogrome von 1938, gelang ihr ein weit über die Grenzen der Kreisstadt hinaus beachtetes Projekt. Noch immer nicht aufgeklärt ist demgegenüber ein Vorfall, der sich am Silvestertag an der neuen Synagoge im Jean-Labowsky-Weg ereignet hatte. Dort hatte ein Unbekannter versucht, die Sicherheitsanlagen zu überwinden, war aber von einem Bewohner überrascht worden. Junge Menschen für die Situation jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu interessieren und zu sensibilisieren, ist also wichtiger denn je. Die Dahlmanschule geht dabei voran.