Kaltenkirchen will Kampf gegen Einsamkeit aufnehmen.

Auf der jüngsten Sitzung des Sozialausschusses nahm ein Thema viel Zeit in Anspruch: Einsamkeit. Dafür hatte die Ausschussvorsitzende Barbara Büttner-Bohn extra einige Gäste eingeladen, die ihre ganz eigenen Anreize zur Bekämpfung von Einsamkeit in der Gesellschaft geben sollten. So sprach die „Kümmerin“ aus Alveslohe, Marita Beine, von ihrer über dreijährigen Arbeit in der Gemeinde: Sie besucht Menschen, die allein und oft auch isoliert leben. Außerdem war Jonas Schmeißner-Darkow vom Psychiatrischen Zentrum Rickling zu Gast. Der Sozialarbeiter stellte sein Forschungsprojekt „Teilhabe fördern – Einsamkeit begegnen“ vor. „Immer mehr Menschen leiden unter Einsamkeit, in jedem Alter“, sagte Büttner-Bohn (FDP): „Der Sozialausschuss verfolgt das Thema schon lange. Jetzt wollen wir wieder mehr Bewusstsein dafür in der Politik schaffen, um das Problem auch in der Praxis anzugehen.“ Einsamkeit macht krank: Im Psychiatrischen Zentrum Rickling steht das Thema Einsamkeit schon länger im Fokus. „Einsamkeit und Gesundheit hängen eng zusammen“, erklärte Jonas Schmeißner-Darkow, der seit 2017 zur Einsamkeit forscht. Er stellte sein Projekt zur Teilhabe vor, zog dazu viele wissenschaftliche Studien – auch aus anderen Teilen der Welt – heran und erklärte dann, wie in Psychiatrischen Zentrum in Rickling mit einsamen Patienten momentan schon verfahren wird. „Eine Studie aus Queensland zeigt Faktoren auf, die die Gesundheit fördern. Auf Platz eins und zwei stehen soziale Unterstützung und Integration“, erläuterte Schmeißner-Darkow: „Kontakte mit Mitmenschen haben den gleichen Effekt auf die Gesundheit, wie mit dem Rauchen aufzuhören.“ Außerdem sei Einsamkeit auch ein Prädikator für depressive Symptomatik. Schmeißner-Darkow differenzierte den Einsamkeitsbegriff: „Es gibt die akute Einsamkeit, die jeder von uns schon mal erlebt hat, durch Trennung, Krankheit oder einen Umzug. Das ist nicht problematisch. Die chronische Einsamkeit hingegen ist ein bedrohlicher Zustand für den Menschen.“ Bluthochdruck, Schmerzen, höhere Mortalität, weniger kognitive Leistung seien oft die physischen Symptome der chronischen Einsamkeit. „Und daraus entwickeln sich dann auch soziale Folgen wie zunehmendes Misstrauen und Rückzug.“ In seinem Forschungsprojekt, in dem 334 Menschen befragt wurden, konnte Schmeißner-Darkow auch feststellen, dass die Einsamkeit in den Corona-Jahren 2020 und 2021 stark zugenommen hat. Besonders beeindruckte auch seine Feststellung: „Wenn man keiner Gruppe angehört und sich dann einer anschließt, halbiert man das Risiko, in den nächsten sechs Monaten zu sterben.“ Soziales Rezept ausstellen gegen die Einsamkeit: Doch Schmeißner-Darkow konnte auch von einem Rezept gegen die Einsamkeit berichten, und zwar im Wortsinn: „Die Idee stammt aus England, wo es übrigens auch ein Einsamkeits-Ministerium gibt: Dort wird einsamen Menschen ein ’soziales Rezept’ ausgestellt.“ Auf so einem Rezept stehe dann sinngemäß, dass sich der Patient einer bestimmten Gruppe anschließen soll. Auch die Patienten in Rickling erhalten derartige Rezepte bereits. Dafür sei es aber wichtig, dass ausreichend soziale Gruppen zur Verfügung stehen. „Für die Rezepte haben wir bereits 74 Angebote in Rickling, Neumünster und Kaltenkirchen“, so der Sozialarbeiter. Zu beachten sei, dass die Patienten in die Gruppen passen: „Es müssen die gleichen Probleme und Ziele sein, um auch eine relevante soziale Fähigkeit zu entwickeln. Patienten dürfen nicht trivial und willkürlich einer Gruppe zugestellt werden.“ Denn das „Wir-Gefühl“ sei am Ende entscheidend im Kampf gegen die Einsamkeit. Diesen Kampf hat in Alveslohe Marita Beine bereits vor dreieinhalb Jahren aufgenommen. Die Gemeinde hatte damals beschlossen, eine „Kümmerin“ fest anzustellen, zunächst für drei Jahre und zehn Stunden in der Woche. Vor einem halben Jahr wurde ihr Vertrag verlängert. Beine kümmert sich um Senioren, Migranten und Behinderte, die alleine vieles nicht schaffen oder einfach nur mal Abwechslung brauchen. „Ich klöne mit ihnen, gehe Einkaufen, begleite sie zum Arzt oder nehme sie einfach mal in den Arm“, beschriebt Beine ihren Job: „Ich bin auch in der Pandemie zu ihnen gegangen, ich konnte sie nicht alleine lassen.“ Kümmerer auch für Kaltenkirchen vorstellbar: Beine habe gut zu tun. Mit zehn Stunden in der Woche komme sie meistens gar nicht aus. Ein mal in der Woche hat sie Sprechstunde, ansonsten sucht sie ihre Klienten auf. „Ich bekomme Tipps von Nachbarn oder der ambulanten Pflege. Dann gehe ich einfach zur Adresse und klingele“, berichtet die Kümmerin: „Ich bin noch nie abgewiesen worden.“ Alveslohes Bürgermeister Peter Kroll, der zusammen mit Marita Beine in den Ausschuss kam, erklärte: „23 Prozent der Alvesloher sind über 65 Jahre alt, Tendenz steigend. Die Arbeit einer Kümmerin ist zukunftsweisend und funktioniert gut.“ Die ersten drei Jahre wurde die Stelle von der Aktivregion Auenland mit 65 Prozent gefördert. „Jetzt leisten wir es uns selbst. Alle Gemeindevertreter hatten darum gebeten, die Stelle zu verlängern“, so Kroll. Die Sozialausschussvorsitzende Büttner-Bohn war von den Vorträgen begeistert. „Kaltenkirchen könnte locker zwei Kümmerer gebrauchen“, sagte sie gegenüber KN-online: „Wir sollten uns ebenfalls nach Fördermöglichkeiten für so eine Stelle umhören oder einfach überlegen, ob wir uns das auch so leisten wollen. Ich jedenfalls befürworte das. Aber für eine breitere Gruppe, nicht nur für Senioren.“ Sie wolle so schnell wie möglich einen entsprechenden Antrag in den Ausschuss einbringen.