Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine haben bei MIE in Seth eine Persoektive

Nach der ersten Freude, in Sicherheit zu sein, kommen jetzt die schlimmen Träume. Denn Tetiana Nepokupne und Oxana Shokur haben den Krieg hautnah erlebt. Beide kommen aus Charkiw in der Ost-Ukraine. Lange haben sie es ausgehalten mit dem Krieg, den Bomben und dem Tod um sie herum. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem es einfach nicht mehr ging. Sie nutzten ihre Kontakte und fanden bei Thomas Kühl, Firmenchef aus Seth, eine neue Zukunft. Der Chef des Medizin-Unternehmens MIE will die beiden allein reisenden Frauen sobald es geht anstellen. Denn sie sind Spezialistinnen auf ihrem Gebiet. Man ist im Gespräch schnell beim „Du“. Tetiana spricht sehr gut Englisch, Oxana versteht und spricht ein klein wenig Deutsch. Seit über zwei Wochen sind die Ukrainerinnen in Deutschland. Sie sind verblüfft über die große Hilfsbereitschaft der Deutschen, die sie gleich mit warmer Kleidung und anderen notwendigen Dingen ausstatteten. „Wir sind mit Rucksack und einer Tasche hier angekommen“, beschreibt Tetiana. Vier Züge und schließlich das Flugzeug von Warschau nach Hamburg brauchten sie, um ihrer Heimat und dem Krieg zu entkommen und in ihrer Übergangs-Heimat anzukommen. Vom Flughafen Hamburg hat Thomas Kühl sie abgeholt und zunächst in einem Hotel untergebracht. Bald soll der Umzug direkt nach Seth in eine eigene Wohnung folgen. Den Tag des Kriegsbeginns werden sie nie vergessen: Den Morgen des 24. Februar, den Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, werden Tetiana und Oxana nie vergessen. „Ich wachte auf und hörte die Bomben“, erzählt die 43-jährige Tetiana. Sie habe gar nicht realisiert, was gerade geschah. Russland sei doch Nachbar und Bruderstaat, wie habe es so weit kommen können, fragt sie sich. Viele ihrer Nachbarn in Charkiw hatten bei Kriegsbeginn Panik und seien geflüchtet. Aber für sie, sagt Tetiana, sei es klar gewesen, zunächst zu bleiben. „Wir haben die Tage gezählt und immer gehofft, dass es vorbei geht – und dass der Beschuss endet.“ Lesen Sie auch Flüchtlinge scheitern an der deutschen Bürokratie Nachbarschaftsinitiative aus Oersdorf bringt Spenden für Ukrainer Oxana (48) ist deutlich ruhiger wenn sie erzählt und versucht, ihrem Gegenüber auf Deutsch zu antworten. Das klappt gut – wenn die Worte fehlen, springt ihre Freundin ein und übersetzt das Ukrainische ins Englische. Als die ersten russischen Kriegsflugzeuge über Charkiw flogen und die Bomben abwarfen, hatte Oxana nur einen Gedanken: Wie geht es dem Vater? Der wohnt im Donbass direkt an der Grenze zu Russland. Ihre Töchter Julia (26) und Margarita (22) leben in der Türkei und in Kiew. Der Kontakt zum Vater ist Oxana sehr wichtig. „Es geht ihm gut. Aber er hat Angst“, sagt Oxana mit stockender Stimme. Fliehen will der 72-Jährige nicht, auch wenn die Geschäfte und Banken schon lange geschlossen sind, der Alltag beschwerlich ist. Der Ukrainer an sich habe zwar immer genug Vorräte, aber auch die gehen irgendwann zur Neige. Tetianas Eltern leben in der Nähe von Charkiw, „in Sicherheit“, wie sie betont. Dennoch ist die Sorge groß. Ihre Katze, die sie auf der Flucht nicht mitnehmen konnte, hat sie zu Mutter und Vater gebracht. Wann sie sich alle wiedersehen, steht in den Sternen. Kein Thema, über das man gerne redet. Notfalltasche gepackt, aber immer auf Frieden gehofft: Das Haus von Oxana wurde gleich in den ersten Kriegstagen beschossen, Tetiana hatte mehr Glück. Tagsüber sei sie in ihrer Wohnung gewesen, nachts aber ging es in den sicheren Keller zusammen mit den Nachbarn. An Ruhe sei nicht zu denken gewesen. Jede der beiden Frauen hatte schon lange eine Notfalltasche mit den wichtigsten Dokumenten zusammengepackt, erzählen sie. Bis zu ihrer Abreise Richtung Deutschland hatten sie gehofft, dass die Ukraine und Russland sich am Verhandlungstisch einigen – bisher vergebens. „Das Bomben hört nicht auf.“ Die größte Angst der Frauen sei es gewesen, als menschliche Schutzschilde von den russischen Soldaten benutzt zu werden. Um dem und anderen möglichen Gräueltaten zu entgehen, entschlossen Oxana und Tetiana sich, zu gehen. „Wir wollten nicht, aber wir mussten.“ MIE erhielt bis Kriegsbeginn aus Charkiw spezielle Salzkristall-Platten: Thomas Kühl aus Seth hatte mit seinem Unternehmen MIE geschäftliche Kontakte in die Ukraine. Von der Firma Amcrys aus Charkiw hat MIE spezielle Salzkristall-Platten bekommen, die für Untersuchungsgeräte benötigt werden, die in Seth hergestellt werden. Anders als beim klassischen MRT oder CT werden bei dem MIE-Gerät die Patienten nicht „durchleuchtet“, sondern sie erhalten ein radioaktives Kontrastmittel gespritzt, dessen Strahlen aufgefangen und analysiert werden. In der Tumorfrüherkennung und bei Alzheimer werden so wertvolle und wichtige Daten erfasst. Um diese Lichtstrahlen aufzufangen, werden fast ein Zentimeter dicke Salzkristall-Platten benötigt. Bei MIE in Seth eine berufliche Perspektive gefunden: „Ich habe meinen Kontaktleuten dort gleich gesagt, wenn ihr Hilfe braucht, dann meldet euch“, erzählt Thomas Kühl. Bei Amcrys arbeiteten die beiden Frauen. Und Tetiana meldete sich bei dem Unternehmenschef in Seth. Innerhalb von wenigen Tagen nach der Kontaktaufnahme waren Tetiana und Oxana in Seth angekommen. Thomas Kühl will den beiden nicht nur eine Übergangsperspektive geben, sondern richtige Jobs. Genau das ist den Ukrainerinnen auch am Wichtigsten. Sie wollten nicht ins Ungewisse fliehen, sondern in Deutschland eine Aussicht, einen Plan und einen Alltag haben. „Arbeit ist für uns eine Art Therapie“, ist Tetiana sich sicher. Sobald die Arbeitserlaubnis für die Ukrainerinnen vorliegt, werden sie von Thomas Kühl angestellt und sollen wieder mit den Salzkristall-Platten arbeiten, so wie in Charkiw. Der Plan ist, dass die beiden zusammen mit dem MIE-Team einen Weg finden, alte Salzplatten zu reparieren. Das sei weltweit ziemlich einmalig, meint Thomas Kühl. „Ein bisschen Jugend forscht.“ Er freut sich, dass er Tetiana und Oxana nicht nur helfen kann, sondern mit ihrer Anstellung auch der Firma MIE „einen Riesenschub verpassen kann, wenn es funktioniert“, sagt er. Wie lange sie bleiben, wissen Tetiana und Oxana nicht. Ob es drei Monate oder ein halbes Jahr dauere, keiner wisse, wie es in ihrer Ukraine weitergehe. Das Heimweh ist groß, die Träume schlecht. Das Erlebte holt die Frauen nachts wieder ein. Die Hilfsbereitschaft, die ukrainischen Flaggen in den deutschen Vorgärten, die Aussicht auf einen normalen Alltag, all das sei „warm für unsere Herzen“, sagt Tetiana dankbar. „Aber ich bin mir sicher: Die Ukraine wird den Krieg gewinnen.“