Lentföhrden: 30 Ukraine-Flüchtlinge sind privat untergebracht

Die Bereitschaft, den vor Krieg und Zerstörung aus der Ukraine geflüchteten Menschen zu helfen, ist in Deutschland riesengroß. So auch in der 2700 Einwohner zählenden Gemeinde Lentföhrden. Alleine im Ahornring sind 13 Flüchtlinge in vier Häusern untergekommen. Sogar fünf Personen beherbergt die alleine lebende Britta Stockhaus bei sich. „Ich mache das sehr gerne, denn die Menschen brauchen Unterstützung“, sagt die 43-Jährige, gibt aber auch unumwunden zu: „Über Jahre kann man das nicht machen, denn das eigene Privatleben ist dann gleich Null.“ Seit sieben Jahren lebt Britta Stockhaus in dem schmucken, großen Einfamilienhaus im Ahornring. Seit gut eineinhalb Jahren nach der Trennung von ihrem Mann allein. Auch sie berühren der Krieg in der Ukraine und die einsetzende Flüchtlingswelle sehr. „Man bekommt einen ganz anderen Blickwinkel auf das eigene Leben und wird angesichts der Geschehnisse dort demütiger.“ Da sie in ihrem Heim genug Platz hat, stand für sie außer Frage, diesen zu teilen. Bekannten in Nützen gegenüber, die in der Kirche aktiv sind, bekundete Britta Stockhaus ihre Hilfsangebot. „Und dann ging alles rucki-zucki“, erinnert sich die 43-Jährige. Plötzlich hatte sie fünf Hausgenossen. Mann (49) mit Frau (40) und zehnjähriger Tochter sowie die 55-jährige Schwester des Mannes mit ihrem 29-jährigen Sohn. Und einen kleinen Hund hatten sie auch dabei. Die Gäste stammen aus Kiew, waren mit dem Auto nach Polen geflüchtet und nach einem einwöchigen Zwischenstopp dort nach Lentföhrden gefahren. Es zog sie in diese Gegend, weil hier bereits Familienangehörige leben. Nur fünf Tage Vorbereitungszeit bis zur Ankunft der Flüchtlinge: Britta Stockhaus hatte nur knapp fünf Tage Vorbereitungszeit bis zur Ankunft der neuen Mitbewohner. „Eine Herausforderung“, wie sie einräumt, denn der große Partyraum im Keller sollte in eine Wohnküche umfunktioniert, zwei Räume zu Schlafzimmern werden. „Es fehlten noch Betten, Matratzen und ein Herd.“ Sie ist immer noch begeistert, wie viel Hilfe man erhält, wenn man sich nur zu fragen traut, um Unterstützung bittet. „Innerhalb dieser wenigen Tage hatte ich plötzlich vier Betten, die Matratzen, Bettwäsche, eine Küchenzeile und den Hausstand für fünf Personen zusammen“, erinnert sich die Lentföhrdenerin. „Und ein Elektriker hat dann auch noch kostenlos den Herd angeschlossen.“ Lesen Sie auch Der Krieg fast nebenan beunruhigt Jugendliche in Henstedt-Ulzburg Flüchtlinge im Levo-Park Bad Segeberg: So leben und lernen sie Da auch weitere flüchtende Personen der Großfamilie gerne in den Norden wollten, fragte Britta Stockhaus in der Nachbarschaft, wo drei weitere Familien nun ebenfalls Flüchtlinge beherbergen. Im Hinterhof des Hochhauses in Kiew wurden Tote bestattet: Die ersten Tage in Lentföhrden seien für die Geflüchteten sehr unruhig gewesen, erzählt die Hausbesitzerin. „Die Menschen waren traumatisiert, hatten Schlafstörungen, kamen nicht zur Ruhe.“ Aber auch jetzt stecke das Erlebte ihnen noch immer in den Knochen, sie möchten deshalb nicht mit Journalisten sprechen. Selbst Britta Stockmann fragt sie nicht viel, lässt ihre Gäste erzählen, wenn ihnen danach ist. „Wir versuchen hier heile Welt zu bieten.“ Klar ist, dass alle ihr ganzes Leben in der Ukraine zurückgelassen haben, sie wohl dorthin nicht zurückkehren werden. Die dreiköpfige Familie lebte im 13. Stock eines inzwischen stark beschädigten Hochhauses in Kiew, an das sie keine schönen Erinnerungen haben. „Sie haben mir erzählt, dass sie gesehen hätten, wie im Hinterhof Gruben ausgehoben worden seien, um dort Leichen zu bestatten.“ Diese Bilder würden ihnen nicht aus dem Kopf gehen. Lesen Sie auch Flüchtlingskinder in Boostedt: Geregelter Schulalltag als sicherer Hafen Leere Arztpraxis in Henstedt-Ulzburg wurde neues Zuhause für Ukrainer Der 49-jährige Hovhannes Yenohyan hatte in Kiew einen Laden. Bei ihm arbeitete seine Ehefrau Heghine Poghosyan als Floristin. Die Familie mit Tochter Mane hat armenische Wurzeln, „deshalb konnte wohl auch der Mann ausreisen“, vermutet Britta Stockhaus. Aida Yenohyan ist Juristin, ihr Sohn Hrant Atshemyan studierte Tiermedizin. Alle sind völlig mittellos, sind zusammen in einem alten Auto geflohen. Jeder mit nur einer Reisetasche mit persönlichen Sachen und 150 Euro in ukrainischer Währung, die allerdings hier nichts wert sei. Zur Not wird mit Händen und Füßen kommuniziert: Um in Deutschland aber überhaupt Fuß fassen zu können, müssten sie erst die deutsche Sprache lernen. Doch daran hapert es zurzeit noch. „Deshalb sind wir auch auf der Suche nach Deutschlehrern, die zweimal in der Woche Kurse anbieten“, sagt Britta Stockhaus. Der amtierende Bürgermeister Alexander Brosowski habe zugesagt, Räume dafür zur Verfügung zu stellen, denn in der Gemeinde würden inzwischen rund 30 Ukrainerinnen und Ukrainer in privaten Unterkünften leben, Tendenz steigend. Im Hause Stockhaus ist derzeit ein Kauderwelsch aus altem Schulenglisch, Russisch und Ukrainisch zu hören. Vieles gehe zudem über Handy Übersetzer-App. „Zur Not kommunizieren wir auch mit Händen und Füßen“, so Britta Stockhaus. Ein Flüchtling macht ein Praktikum beim Lentföhrdener Bauhof: Sie gibt zu, dass fünf zusätzliche Personen in ihrem Haus auch eine Herausforderung seien. Das fange bei den unterschiedlichen Essenszeiten und dem Umgang mit Lebensmitteln an, höre bei der Mülltrennung und den Aufstehzeiten auf. An den frühen Arbeitsbeginn musste sich auch Hrant Atshemyan gewöhnen, der aber sehr froh ist, dass er beim örtlichen Bauhof ein Praktikum machen darf. Ein ganz anderes Thema seien nach den Worten von Britta Stockhaus die Behördengänge. Alles dauere eine Ewigkeit. Noch habe niemand eine Arbeitserlaubnis erhalten, und erst in der vergangenen Woche hätten ihre Flüchtlinge das erste Geld bekommen. Bislang wurde die Verpflegung fast komplett über Spenden finanziert. Auch Britta Stockhaus hat noch keinen Cent erhalten. „Auf Dauer kann ich als Einzelperson und Alleinverdienerin nicht für alles aufkommen.“ Alleine die zusätzlichen Energiekosten würden erheblich zu Buche schlagen. Zudem musste sie schon eine Rohrreinigungsfirma bezahlen, weil etwas fälschlicherweise in der Toilette entsorgt wurde. „Ich bin aber sicher, dass wir zusammen mit dem Amt eine Lösung finden werden.“ Die Lentföhrdenerin hofft, dass von den Behörden auch bald ein Weg aufgezeigt wird, wie es mit den Flüchtlingen weitergehen soll. „Denn über Jahre kann man so eine Unterbringung wie bei mir nicht machen“, sagt die 43-Jährige und fügt ganz offen hinzu: „Mein Ziel ist es, dass ich Weihnachten in meinem Haus wieder alleine feiern kann.“ Sollten die von ihr Betreuten aber bis dahin keine Wohnung gefunden haben, „werde ich sie aber nicht vor die Tür setzen“. Britta Stockhaus braucht eine Erholungspause: Jetzt will Britta Stockhaus aber erst mal eine Woche bei ihren Eltern Urlaub machen, ausspannen. Denn sie brauche auch mal Zeit für sich, schließlich sei sie auch voll berufstätig, als Verwaltungsangestellte für Immobilien auch gefordert. In der Zeit ihrer Abwesenheit werden sich die Nachbarn um die Geflüchteten kümmern. Das macht auch die Gemeinde, hat zum Beispiel Kontakte zum Sportverein vermittelt, „denn wir möchten den Menschen etwas Abwechslung bieten“. So wurden auch schon Ausfahrten in den Wildpark Eekholt oder ins Miniatur-Wunderland nach Hamburg organisiert, alles auf privater Schiene, „denn vom Kreis Segeberg bekommen wir keine Hilfe, keine Unterstützung“, bedauert der stellvertretende Bürgermeister. Untereinander seien die vielen Helfer aber gut vernetzt, kommunizieren über eine WhatsApp-Gruppe. Mit den Flüchtlingen und Helfern habe es auch bereits ein gemeinsames Treffen gegeben, so Brosowski.