Marc FRancisco: Vom Statisten zum Chef der Hinterbühne der Karl-May-Spiele in Bad Segeberg

Im September 2006 fand sich Marc Francisco mitten in einem gewaltigen Blitzlichtgewitter wieder. Doch das Interesse der Medien galt damals nicht ihm, obwohl er in seinem Indianerkostüm sehr authentisch wirkte, sondern dem Mann neben ihm. Presse, Funk und Fernsehen waren gekommen, um den neuen Winnetou der Karl-May-Spiele zu erleben: Erol Sander, der die Nachfolge des legendären Gojko Mitic antreten sollte. Sander ist lange weg. Aber Francisco, damals eher Dekoration, ist noch da. Und ein reiner Statist ist der 39-Jährige am Kalkberg längst nicht mehr. Dabei ist die Bezeichnung „Statist“ für den Bad Segeberger selbst alles andere als negativ besetzt – ganz im Gegenteil: Von 2011 bis 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Zwangspause, gehörte Francisco in jeder Spielzeit zur Komparserie. Seine Premiere im Ensemble hatte er schon 2005 gefeiert. In 936 Vorstellungen stand er seither auf der Bühne, bisweilen in gleich mehrere Rollen. „Nie krank, nie zu spät“, betont der Karl-May-Fan. Mehr Herzblut geht kaum. Schwerer Abschied vom Statisten-Dasein: Dass er sich mit Beginn der neuen Saison und der Inszenierung „Der Ölprinz“ wohl endgültig von seiner großen Leidenschaft verabschieden wird, verabschieden muss, sieht er mit einem weinenden, aber auch mit einem lachenden Auge. Die Kalkberg GmbH hat Marc Francisco nämlich als ihren neuen Inspizienten verpflichtet, also als Chef der gesamten Hinterbühne bei den insgesamt 72 Vorstellungen. Als der langjährige Produktionsleiter Stefan Tietgen ihn angerufen habe („Am 19. Januar genau um 18.30 Uhr“, wie Marc Francisco sich noch präzise erinnert), sei er vollkommen ahnungslos gewesen. „Ich dachte, es solle um die Auswahl der Statisten gehen; ich bin da nämlich ganz gut vernetzt.“ Als er im Büro der Kalkberg GmbH von Tietgen und Autor Michael Stamp dann allerdings erfahren habe, dass er die Nachfolge des langjährigen Inspizienten Jan Erik Stahl übernehmen solle, sei er völlig perplex gewesen. Vorgänger Jan Erik Stahl war fast 20 Jahre dabei: „Jan hat das 19 Jahre lang gemacht und natürlich eine unglaubliche Routine.“ Er habe erst einmal kein Wort herausgebracht und dann „Schnappatmung“ bekommen, berichtet der 39-Jährige, der seit 2009 in der Kalkbergstadt lebt. „Ich habe erst einmal Bedenkzeit erbeten.“ Der Inspizient, Marc Francisco bevorzugt die Bezeichnung „Stage-Manager“, trage bei den Aufführungen eine enorme Verantwortung. „Er ist quasi der verlängerte Arm des Produktionsleiters.“ Der Chef der Hinterbühne sorge beispielsweise dafür, dass im allgemeinen Gewusel jeder und jede rechtzeitig am vorbestimmten Auftrittspunkt sei. „Er gibt auch die Kommandos und sorgt gegebenenfalls für Ruhe.“ Disziplin sei das A und O, vorauszudenken extrem wichtig. „Schließlich sollen keine Unfälle passieren, wenn plötzlich mehrere Pferde im Galopp vorbeipreschen oder die Kutsche losfährt.“ Aber das kenne er ja längst alles aus der anderen Perspektive. Als Sechsjähriger erstmals bei den Karl-May-Spielen: Zum ersten Mal bei den Karl-May-Spielen sei er 1989 gewesen, erzählt der gebürtige Elmshorner. „Ich war als Sechsjähriger mit meiner Mutter im Stadion.“ Damals habe er ihr gesagt, dass er irgendwann selbst einmal mitspielen wolle. 1999 schaffte Marc Francisco es immerhin schon einmal ins Promotion-Team der Kalkberg GmbH, das überall Werbung für das jeweils neue Stück macht. Eine Lehre zum Elektroinstallateur hatte er abgeschlossen. Sechs Jahre später nahm er dann am offiziellen Statisten-Casting in Bad Segeberg teil. „Zwei Woche später bekam ich einen großen Umschlag, darin lag der Vertrag.“ Er sei überglücklich gewesen. In der ersten Saison spielte er einen Krieger und einen Mexikaner: „Alles komplett in Weiß, von oben bis unten.“ Drei Jahre lang wirkte er mit, anschließend wechselte er für eine Saison in die Tonassistenz. „Dass ich danach eine Spielzeit pausiert habe, bereue ich heute noch.“ Lesen Sie auch Samson Goetze – der Mann hinter dem neuen Karl-May-Plakat Quiz: Wie gut kennen Sie die Karl-May-Spiele? Seine Zuverlässigkeit und seine Flexibilität bewogen die Kalkberg GmbH dann auch dazu, Marc Francisco einen ganz besonderen Job anzubieten. Während der zweijährigen Corona-Pause stellten die Karl-May-Spiele erstmals in ihrer Geschichte im Indian Village ein Live-Hörspiel auf die Beine: „Winnetou – Das Gold der Rocky Mountains“. Gebraucht wurde dafür ein zweiter Geräuschemacher neben dem Schauspieler Patrick L. Schmitz. Produktionsleiter Tietgen griff zum Telefon und wählte die bekannte Nummer. Premiere als „Geräuschemacher“ im Indian Village: „Das hatte ich vorher auch noch nie gemacht“, erzählt der 39-Jährige. Er habe sich allerdings „sehr geehrt“ gefühlt, dass man ihm eine solche Aufgabe zutraute. Mit Schmitz habe er sich dann einen Tag lang im Westerndorf neben dem Theater getroffen und alles Mögliche ausprobiert. Das Equipment sei vom Radio-Live-Theater gekommen und schon ein bisschen „auf Wildwest getrimmt“ gewesen. Das habe es etwas einfacher gemacht. Bei den Vorstellungen ließ Francisco dann rein akustisch Pferde galoppieren, Peitschen knallen oder Gläser scheppern. Inwieweit der 39-Jährige zukünftig noch Zeit für seinen Job beim Fernsehen haben wird, muss sich zeigen. Sein Vorgänger als Inspizient, Jan Erik Stahl, hatte Marc Francisco einst für die Arbeit dort interessiert. Seither ist er freier Mitarbeiter beim NDR und im Studio Hamburg tätig, wo er beispielsweise bei Quizshows mit Jörg Pilawa, Kai Pflaume und Alexander Bommes für die Betreuung von Kandidaten zuständig ist. Ritual bei der Rückkehr an den Kalkberg: Eines weiß er aber schon jetzt: „Wenn es in Bad Segeberg losgeht, werde ich mich wie immer als erstes mit meinem Freund Christoph Bobe in die Zuschauerränge setzen.“ Der sei auch schon eine Ewigkeit als Statist bei den Karl-May-Spielen dabei. „Das Ganze ist für uns eine Art Ritual.“ Ihr Standardsatz laute dann: „Als wären wir nie weg gewesen.“ Marc Francisco zögert kurz: „Doch – und zwar zwei verdammt lange Jahre.“