Ukraine-Hilfe aus Kaltenkirchen bringt vier Rettungswagen ins Kriegsgebiet

Angst habe er keine, versichert Florian Gottschalk, aber gesunden Respekt. Am Donnerstagabend ist er zusammen mit Kollegen mit zunächst zwei Rettungswagen in Richtung Ukraine gestartet. Insgesamt vier gebrauchte Rettungswagen konnten von der Ukrainischen Ärztevereinigung in Deutschland dank Geldspenden gekauft werden. Sie haben jeweils einen Wert von gut 40.000 Euro. Dr. Oksana Ulan, Ärztin aus Henstedt-Ulzburg und gebürtige Ukrainerin, organisiert zusammen mit dem Team der Lentföhrdener Firma MedX Project die Hilfstransporte. Im Ohlandpark Kaltenkirchen wird dafür seit Kriegsbeginn ein leerstehender Aldi-Markt als Lager genutzt. Dort wurden auch die Rettungswagen kurz zwischengeparkt und mit der notwendigen Ausstattung versorgt. „An Bord sind Trage, EKG, Absaugpumpe, Sauerstoff und Defibrillator“, sagt Florian Gottschalk. Zum Teil konnten neue Geräte gekauft werden. Zusätzlich kommt Verbandsmaterial in die RTW, sodass sie quasi sofort einsetzbar sind. Über die guten Kontakte zu Rettungsdiensten kamen die Helfer an die gebrauchten Fahrzeuge, die in Charkiw im Osten der Ukraine eingesetzt werden sollen. „Unsere Freunde dort haben berichtet, dass die eigenen Rettungswagen alle zerstört wurden“, sagt Dr. Oksana Ulan. Die Not sei groß, denn gerade in der Ostukraine wird erbittert gekämpft und es gibt viele Verletzte. Obwohl die Einsatzfahrzeuge als Rettungswagen zu erkennen sind, seien sie Ziele der russischen Kämpfer geworden. Rettungswagen fahren von Kaltenkirchen über Warschau nach Lwiw: Die erste Station von Gottschalk und den Helfern ist Polens Hauptstadt Warschau. Dort sind Gespräche mit anderen Hilfsorganisationen geplant. Weiter geht es am Wochenende über die Grenze bis nach Lwiw. Dort steigen die Deutschen aus und übergeben die Fahrzeuge an Ukrainer, die den weiteren Weg nach Charkiw übernehmen. Für Gottschalk ist es die erste Tour in die Ukraine. Als THW-Helfer hat er jedoch bereits Krisen- und Kriegsgebiete auf der ganzen Welt besucht. Deshalb habe er zwar eine gewisse Routine und ein Vorwissen, aber jede Region sei anders. Er habe keine Angst, aber Respekt: „Man darf sich nicht überschätzen“, sagt Gottschalk. Oksana Ulan ist froh, in Kaltenkirchen ein solch engagiertes Team zu haben und ihren Landsleuten helfen zu können. Seit Februar sind an der Spendenstelle, die sich auf medizinischen Bedarf konzentriert, 273 Tonnen Hilfsmaterial im Wert von etwa 16 Millionen Euro durchgeschleust worden. Aus ganz Deutschland kommt Medizinbedarf nach Kaltenkirchen. Jede Woche fahren bis zu drei 40-Tonner in die Ukraine. In der ganzen Zeit haben sich mittlerweile 23 dieser großen Lkw und 24 Sprinter auf den Weg gemacht, um die Spenden an die richtigen Stellen zu bringen. Lesen Sie auch Spendenaktion: Futter für Haus- und Nutztiere in der Ukraine Deutsche Bürokratie macht Flüchtlingen zu schaffen Eng wird mit internationalen Organisationen zusammengearbeitet. Das sei auch wichtig und inzwischen eine Grundvoraussetzung. Private Spendentransporte kommen laut Gottschalk und Ulan gar nicht mehr an die Grenze zur Ukraine. Der erste Hype der Spendenbereitschaft sei vorüber, bedauern die Helfer aus Kaltenkirchen. Nur noch wenige Privatspender tauchen im Ohlandpark auf. Dafür gibt es inzwischen Großspenden, beispielsweise von Ärztekammern, Pharmafirmen und Organisationen. Besonders dankbar ist Oksana Ulan über finanzielle Unterstützung. Gezielt können so Dinge wie Verbandsmaterial eingekauft werden. Die großen Hersteller wissen inzwischen, dass sie in Kaltenkirchen einen großen Abnehmer haben und teilen mit, wann sie was liefern können. Ist genug Geld da, wird gekauft. Wer etwas Gutes tun und selbst im Internet medizinisches Material kaufen möchte, sollte das lieber lassen: „Da ist viel Fake unterwegs“, mahnt Florian Gottschalk. Gerade online angebotene Ware sei meist mangelhaft – die können die Helfer nicht gebrauchen. Er appelliert an Spendenwillige, lieber das Geld an die Hilfsorganisation zu überweisen, die dann das richtige Material kaufe. Sachspenden aus Kaltenkirchen gehen nur noch in die Ost-Ukraine: Bleibt bei der vielen Arbeit noch Zeit für anderes? Oksana Ulan winkt ab. Das Telefon der Ärztin mit einer Praxis in Henstedt-Ulzburg klingelt fast ununterbrochen. Ab und an müsse sie auch hart sein. „Die Spenden gehen jetzt nur noch in Gebiete im Osten der Ukraine. Dort werden sie gebraucht“, sagt die Ärztin. Sie versucht, positiv zu wirken, aber den Kummer kann sie nicht abschütteln. „Putin hasst die Ukraine. Aber der Krieg ist so sinnlos“, sagt die Medizinerin. Lesen Sie auch Oersdorfer Spenden für Kriegsflüchtlinge sind in Warschau angekommen Alles zum Krieg in der Ukraine auf KN-Online Ihre Familie ist in der Ukraine, ihr Cousin hat ihr vor kurzem ein Foto von sich geschickt. In voller Kampfausrüstung. Wann und ob sie ihre Lieben wiedersieht, ist ungewiss. Lange nachdenken will Oksana Ulan darüber nicht. Stattdessen gibt es neue Pläne. Sie möchte ein Ärztezentrum für Ukrainer aufbauen und sucht geeignete Räume. Es gebe viele Ärztinnen aus der Ukraine, die mit ihren Kindern vor dem Krieg geflohen seien. Die könnten ihre Landsleute hier versorgen, die Sprachbarriere, die oft ein Problem ist, sei so gelöst. „Das soll ein Projekt werden, keine Dauerlösung“, betont Ulan. Es wirkt, als sei die Arbeit ihr Weg, um mit der Situation klar zu kommen. Florian Gottschalk hat seine gute Laune nicht verloren. Dennoch macht er sich Gedanken darum, wie es in der Ukraine weitergeht. „Jeder, der den Fortgang des Krieges verhindern will, sollte spenden“, sagt er.