Wohnen und Leben mit Parkinson: In Bad Segeberg wird ein einmaliges Projekt realisiert

Oft sind es die vermeintlich unbedeutenden Dinge, die im Alltag einen gewaltigen Unterschied machen. Für jemanden etwa, der an einem sehr starken Zittern der Hände leidet, kann bereits das Einführen eines Türschlüssels zur echten Herausforderung werden. Ein Transponder, der das Öffnen kontaktlos erledigt, ist da im Zweifel eine echte Hilfe. Vom ganz Großen bis ins letzte Detail wirklich durchdacht wirkt das Konzept eines Wohnprojektes, das in Bad Segeberg realisiert werden soll und das in dieser Form bundesweit wohl einmalig ist: „Leben und Wohnen mit Parkinson“. Sein wichtigstes Plus: Im Planungsteam sitzen Betroffene. Einer der Köpfe und Initiatoren ist der Bad Segeberger Bernd Braun, Leiter der örtlichen Regionalgruppe der Deutschen Parkinson-Vereinigung und stellvertretender Landesbeauftragter in Schleswig-Holstein. „Weltweit sind über vier Millionen Menschen an Parkinson erkrankt, in Deutschland dürften es 250.000 bis 300.000 sein“, erklärt Braun. Hinzu komme eine Dunkelziffer. Parkinson: Die neue Volkskrankheit: Belastbare Studien gingen davon aus, dass sich diese Zahl in den kommenden drei Jahrzehnten mindestens verdoppeln werde. Ein Grund sei die demografische Entwicklung, weshalb es immer mehr alte Menschen geben wird. Doch steige auch die Zahl der jungen Erkrankten kontinuierlich, sagt Braun, der selbst bereits seit 2005 mit der Diagnose lebt. Es sei demnach wohl nicht mehr abwegig, bei Parkinson von einer neuen Volkskrankheit zu sprechen. Menschen, die von dieser heimtückischen oder einer anderen so genannten neurodegenerativen Erkrankung (Verfall des Nervensystems) betroffen sind, die Möglichkeit zu eröffnen, sowohl selbstbestimmt als auch situationsgerecht zu wohnen, ist erklärtes Ziel einer eigens zu diesem Zweck gegründeten Genossenschaft mit dem Namen „GenoTrend“. Mitgründerin und Vorstandsmitglied ist Brauns Ehefrau Christine, vielen vermutlich als ehemalige Leiterin der Segeberger Kreismusikschule bekannt. „Wir möchten dort später natürlich auch selbst einziehen“, erklärt sie im Gespräch. Auf einem knapp 7500 Quadratmeter großen Grundstück an der Burgfeldstraße, etwas nach hinten versetzt und in direkter Nachbarschaft zur Kreissporthalle, sollen mehrere sechseckige Gebäude mit rund 45 Wohnungen entstehen. Deren Größe variiert zwischen gut 60 und knapp 120 Quadratmetern. Warum gerade sechs Ecken? „Eine Wabe als Grundform führt zu einem lichtdurchfluteten Lebensraum“, erläutert Bernd Braun. Körperlich und geistig in Bewegung bleiben: Die Planungsgruppe hat sich ganz bewusst gegen ein klassisches Heim entschieden. Das Modellprojekt in Bad Segeberg ist auf Gemeinschaft angelegt, ohne dabei Geselligkeit erzwingen zu wollen. „Unser Motto ist: Fordern und Fördern.“ Alle künftigen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner würden gebraucht. Ihre Fähigkeiten sollten weiterhin abgerufen, praktisch geschult und weitergebildet werden, betont der Bad Segeberger. Körperlich und geistig in Bewegung zu bleiben, sei absolutes Muss für Parkinson-Kranke. Besonders wichtig sind den Initiatoren des Projektes in diesem Zusammenhang die Künste. „Musizieren, Singen, Tanzen und Theaterspiel.“ Dabei werde ein „bunter Strauß an Qualifikationen“ nachgefragt. Bis heute sei es trotz Milliarden-Investitionen in die Forschung nicht gelungen, die Ursache für Parkinson wirklich zu klären. Zumindest gebe es seit den 1960er Jahren ein Medikament, mit dessen Hilfe zumindest die Symptome deutlich reduziert werden können. Das Areal an der Burgfeldstraße hatte die Stadt Bad Segeberg als Eigentümerin seinerzeit an den Bauträger verkauft. Genossenschaftsvorstand Christine Braun, die die Verantwortung gemeinsam mit Walter Meyer trägt, geht davon aus, dass noch Ende dieses Jahres mit den Arbeiten begonnen werden kann. „Die Vermarktung ist gerade angelaufen.“ Grundstück in Bad Segeberg schon seit 2019 im Auge gehabt: Auf das Gelände in der Südstadt hatten die Verantwortlichen bereits im Jahr 2019 ein Auge geworfen. Zum einen seien es von dort aus nur wenige hundert Meter bis in die Innenstadt, zum anderen sei Bad Segeberg als Gesundheits- und Kurstadt für ein solches Projekt besonders geeignet. Mit dem Neurologischen Zentrum der Segeberger Kliniken arbeitet die örtliche Parkinson-Gruppe schon seit Jahren eng zusammen. Lesen Sie auch Parkinson: Neue Wege in der Forschung Diagnose Parkinson: Kieler lebt mit Hirnschrittmacher Parkinson: Auf der Spur der Ursache 2020 erfolgte dann die Genossenschaftsgründung, der städtebauliche Vertrag wurde geschlossen und die Planungsfirma erhielt den Auftrag, den erforderlichen Bebauungsplan zu erstellen. Voriges Jahr konnten dann sämtliche Vorplanungen abgeschlossen werden. „Auch bei unserem Vorhaben wurden auf Grund der derzeitigen Umstände wie nahezu überall Terminfindung und notwendige Beschlussfassungen zeitlich beeinflusst“, heißt es in einer Broschüre. Wenn ab sofort alles glatt geht und die begonnene Wohnungsvergabe reibungslos verläuft, könnte im vierten Quartal kommenden Jahres vielleicht Einweihung gefeiert werden. Überregionale Aufmerksamkeit dürfte dem Projekt allerspätestens dann gewiss sein.