Ein bisschen verkehrte Holstein-Welt

Es war zum Haareraufen. Holstein Kiel hatte den 1. FC Heidenheim im Schwitzkasten, war beim Stand von 2:0 drauf und dran, das dritte Tor zu machen – ließ aber beste Chancen liegen. Am Ende stand es 2:2. Unfassbar ärgerlich. So war es am vorvergangenen Spieltag. Und Sonntag? War alles anders. „Wir haben den Gegner endlich einmal zur richtigen Zeit gekillt“, sagte Fabian Reese nach dem Abpfiff des Nordduells in der Zweiten Fußball-Bundesliga bei Hannover 96 in martialischem Tonfall. 3:0 für die KSV. Unfassbar effizient. Holstein Kiel setzt sich in der Spitzengruppe fest, befindet sich nach den Ergebnissen der Konkurrenz in Schlagdistanz zu Platz eins, kann am Freitag (18.30 Uhr) mit einem Sieg gegen den VfL Bochum für mindestens eine Nacht die Tabellenführung übernehmen – ermöglicht durch einen kuriosen Sieg in der niedersächsischen Landeshauptstadt. "Wir sind in der ersten Halbzeit überrannt worden": Kurios, weil nach den ersten 45 Minuten nicht wirklich damit zu rechnen war. 96-Coach Kenan Kocak hatte Ole Werner mit seiner Aufstellung auf dem falschen Fuß erwischt. „Wir hatten die Dreierkette schon im Hinterkopf, sind aber von etwas anderem ausgegangen“, sagte Werner. Durch das 3-4-1-2 der Hannoveraner ergab sich eine Statik auf dem Platz, die sich negativ auf das Kieler Spiel auswirkte. Die Räume, die man bespielen wollte, gab es nicht. Und 96 gelang es, aus dieser Ordnung heraus ein unangenehmes Pressing aufzuziehen. „Wir sind in der ersten Halbzeit schon ein bisschen überrannt worden“, sagte Angreifer Janni Serra. „Wir konnten glücklich sein, mit dem 0:0 in die Pause zu gehen.“ Das torlose Remis war zu diesem Zeitpunkt ein gefühlter Sieg. Weil Hannover 96 nach den beiden vergebenen Chancen von Ex-Storch Marvin Ducksch nach Kieler Abwehr-Wacklern psychologisch im Nachteil war. Und weil Holstein nun in der Kabine eine Blitz-Analyse durchführen konnte. „Wir haben ein paar Dinge besprochen, wie wir auf die Grundordnung, die Hannover heute gewählt hat, besser reagieren können“, sagte Werner. Mit Erfolg. Wie schon gegen den HSV (1:1) war das Trainerteam in der Lage, Probleme zu benennen und Lösungen aufzuzeigen. Und die Mannschaft war erneut fähig, den angepassten Matchplan umzusetzen. Dass dann plötzlich aber alles klappte – vor allem in dieser Art und Weise –, zahlte wiederum ein auf das Attribut „kurios“ für diesen erfolgreichen Adventsnachmittag. Sieben von 13 Toren vom Punkt oder durch den Gegner: In der 55. Minute chippte der starke Fin Bartels den Ball in den Strafraum – an die Hand von Simon Falette. Wieder ein Handelfmeter, wie in der Woche zuvor. Diesmal aber für Holstein. Der dritte Strafstoß der Saison für die KSV, das dritte Tor vom Punkt für Alexander Mühling, sein schon fünfter Treffer in dieser Spielzeit (56.). Noch etwas kurioser: das 2:0 eine Minute später. Reese setzte auf links nach 96-Ballverlust zum Konter an, rauschte in den Strafraum, wollte uneigennützig quer auf Bartels ablegen – und „belohnte“ sich an seinem 23. Geburtstag mit dem erzwungenen Eigentor durch Dominik Kaiser (57.). Es war, eigentlich unglaublich, bereits das vierte Eigentor in dieser Saison, von dem die KSV profitiert. Sieben von 13 Saisontreffern sind also vom Punkt oder durch den Gegner erzielt worden. Wieder ein Platzverweis - diesmal für den Gegner: Dass Holstein es aber auch selbst kann, bewies die 60. Minute: Flanke Bartels, Kopfball Serra – 3:0. Das dritte Saisontor für den 22-Jährigen, der nach dem Abpfiff den Tränen nahe war. „Hochemotional“ sei dieses Spiel für ihn gewesen, sagte Serra, gebürtiger Hannoveraner und seinem Jugendklub tief verbunden, nach seinem ersten Auftritt überhaupt in der HDI-Arena, der spätestens mit der Gelb-Roten Karte für Falette (71.) zugunsten der Kieler gelaufen war. Ja, schon wieder ein Platzverweis. Der fünfte im neunten KSV-Spiel. Nach drei in Folge für die Störche mal wieder einer für den Gegner. Ein bisschen verkehrte Welt. Und, natürlich: ziemlich kurios.

Holstein Kiels 3:0 bei Hannover 96 - Ein bisschen verkehrte Welt