Holstein Kiels Bank ist eine Bank

So viel Joker war selten. Holstein Kiel gegen den Hamburger SV, die Nachspielzeit ist bereits angebrochen, da schlägt der vor 19 Minuten eingewechselte Finn Porath noch einmal eine lange Hereingabe nach vorne. Vorm Sechzehner blockt Benjamin Girth, vor 14 Minuten eingewechselt, im Luftkampf Toni Leistner weg. Josha Vagnoman ist vom Aufsetzer überrascht, lässt ihn über den Scheitel gleiten. So kommt in seinem Rücken der einlaufende Joshua Mees, erst seit zwei Minuten auf dem Feld, an den Ball, schießt im Fallen zum 1:1 ein. Der Endstand, der verdiente Punkt – durch die entscheidenden Impulse von der Bank. Blumen, die KSV-Chefcoach Ole Werner hinterher nicht annehmen wollte. „Durch die vielen Wechsel“, sagte er „hat man als Trainer die Chance, auch mal ein goldenes Händchen zu haben.“ Werner und seinen Amtskollegen in der Ersten und Zweiten Fußball-Bundesliga stehen auch in dieser Saison fünf Auswechslungen zur Verfügung, auch im DFB-Pokal sind fünf Wechsel möglich. Zwar hat sich Werner in der Vergangenheit wiederholt als Befürworter einer raschen Rückkehr zur Drei-Wechsel-Regelung geäußert. Im engmaschigen Spielplan mit wenigen spielfreien Phasen und fehlender Winterpause aber sind zwei weitere Optionen von der Bank elementar wichtig. Holsteins Kaderbreite in Zeiten von fünf Auswechslungen als großes Plus: Und sie werden genutzt. Nur zum Saisonauftakt gegen den SC Paderborn (1:0) und bei Eintracht Braunschweig (0:0) wechselte Werner lediglich dreimal. Das Pokalspiel gegen Rielasingen-Arlen (7:1) mit einbezogen, nimmt Holstein Kiel im Schnitt 4,1 Auswechslungen pro Spiel vor. Nach dem Re-Start im Mai bis zum Saisonende Ende Juni waren es sogar noch etwas mehr, nämlich 4,3 Auswechslungen – wohl auch dem Umstand geschuldet, dass es in dieser kurzen Phase zwei englische Wochen gab. Holstein Kiels Bank ist in dieser Saison aber nicht nur doppelter Boden. Sondern sie ist auch ein Puzzleteil des aktuellen Erfolgs. Denn Werner steht nicht nur mehr Quantität, sondern auch dank der Transferpolitik im Sommer bedeutend mehr Qualität zur Verfügung, die den Charakter eines Spiels noch einmal grundlegend verändern kann. Fabian Reese etwa war nach seiner Einwechslung gegen Fürth (1:3) direkt einer der Hauptdarsteller, bereitete das Kieler Tor vor, dass noch einmal Hoffnung weckte – auch wenn er wenig später eine umstrittene Rote Karte sah. Janni Serra und Finn Porath brachten nach Einwechslung gegen Düsseldorf (2:1) wichtige Ruhe ins Kieler Spiel, Niklas Hauptmann erwies sich bei seinen ersten Teilzeit-Einsätzen als Stabilisator. Atanga, Baku und Co. teilweise nicht einmal berücksichtigt: Hinzu kommen vermeintliche Reservisten, die wegen Verletzung oder Erkrankung des Stammpersonals von Beginn an auflaufen – und direkt performen. Ioannis Gelios etwa, Thomas Dähnes starker Dauer-Vertreter im Tor. Oder Stefan Thesker, der für Marco Komenda in die erste Elf zurückgekehrt ist. Ohne jeden Qualitätsverlust. Holstein Kiels Kader ist breit wie nie. So breit, dass es Akteure wie David Atanga oder Makana Baku derzeit schwer haben, überhaupt ins Spieltags-Aufgebot zu rutschen. So breit, dass ein talentierter Stürmer wie Lion Lauberbach um jede Einsatzminute schwer ringen muss. Der Konkurrenzkampf ist hart. Und er hebt offenbar insgesamt das Niveau. Das zahlt sich jetzt aus. Der vierte Tabellenplatz für die Störche in der nun beginnenden Länderspielpause ist auch ein Verdienst der Bankangestellten.

Joker stechen gegen den Hamburger SV - Holstein Kiels Bank ist eine Bank