Nachspielzeit: Kieler Höhenflug in ungeahnte Sphären

Die Stimmung ist gut im Storchennest - zu Recht. „Fin hatte heute Morgen noch Rückenschmerzen und hat erst nach dem Abschlusstraining den Daumen gehoben. Und ich bin sicher: Ohne Rückenschmerzen setzt er den sogar noch genauer“, sagte KSV-Cheftrainer Ole Werner nach dem 1:0-Erfolg gegen Nürnberg grinsend. Direkt nach dem mehr als sehenswerten Treffer des 33-jährigen Routiniers per Fallrück-Seitfallzieher schwankten die Emotionen und Gesichtsausdrücke auf der Kieler Bank zwischen unbändiger Freude, Unglauben und Staunen. Kaum auszudenken, wie die Reaktionen auf gefüllten Rängen im Holstein-Stadion angesichts dieses Geniestreichs gewesen wären. Individuelle Qualität in einem starken Kollektiv: Nun zeigte dieser Treffer, der Kieler Kandidat für die Wahl zum Tor des Monats, zum einen die individuelle Qualität des bundesligagestählten Rückkehrers, die Holstein gemeinsam mit weiteren starken Einzelleistungen à la Jae-Sung Lee, Alexander Mühling, Hauke Wahl und Co. zu einer der spielstärksten Mannschaften der Zweiten Liga macht. Er zeigte aber auch in Verbindung mit der nüchternen Tatsache, so drei Punkte eingefahren zu haben, die Qualitäten, die die KSV als Kollektiv auszeichnen. Eine stabile Defensive, Geduld und Beharrlichkeit, Stehvermögen durch schwierige Spielphasen, Effektivität - und taktische Flexibilität gepaart mit fruchtenden Anpassungen während einer Partie. Ein Schlüssel zur starken Schlussphase und letztlich zum Tor war es, dass Ole Werner in der 70. Minute vom System mit Stoßstürmer Janni Serra auf ein beweglicheres 4-3-3 mit Lee als falscher Neun und Niklas Hauptmann als Mittelfeldspieler für die Tiefenläufe umstellte. Gemeinsam mit der Hereinnahme von Fabian Reese für Joshua Mees gelang es so, die kompakte Nürnberger Defensive mit Tempo über Außen und Schnittstellen in Bewegung zu bringen und die Räume zu schaffen, die zuvor gefehlt hatten. Träumen erlaubt! Hinten Schäffler und Co. abmelden, vorne die Chance nutzen: Das Kieler Credo ging am Ende auf. Dass auch Nürnberg Chancen auf den Sieg oder ein spätes Remis hatte, dass es am Ende wieder etwas kribbelig wurde und dass es letztlich eine alles andere als alltägliche Aktion wie Bartels‘ Traumtor zum Sieg benötigte - geschenkt. Die Reife, mit der Holstein aktuell die verschiedenen Aufgabenszenarien bewältigt, ist erstaunlich und erfreulich. Klar - Knicke in der überbordend steilen Formkurve werden kommen. Aber träumen, das ist nach Bartels‘ Traumtor zumindest in Ansätzen erlaubt.